Das war 2022. Ein verspäteter Jahresrückblick.

Wieder ist ein Jahr vergangen, ohne dass auch nur ein einziger Blogeintrag hier gelandet wäre, und das neue Jahr ist auch schon längst nicht mehr ganz neu… Es scheint sich allmählich als Tradition zu entwickeln dass es nur einen Jahresrückblick gibt. Aber immerhin… Also – los geht´s mit einem kleinen Einblick in das, was 2022 bei mir los war. Bei den Bildern wie gehabt: Anklicken zum Vergrössern 😉

Januar

Für mich beginnt das zweite Semester des Bachelor Heilpädagogik an der Universität Islands. Kein Unterricht mehr, dafür die Abschlussarbeit. Ich schreibe über das TEACCH–Programm, das ich in den letzten Jahren im Kindergarten in meiner Arbeit mit autistischen Kindern nutzen durfte. TEACCH ist die Abkürzung für „Treatment and Education of Autistic and related Communication handicapped Children“, was man mit „Behandlung und pädagogische Förderung autistischer und in ähnlicher Weise kommunikationsbehinderter Kinder“ übersetzen kann. Ich schreibe über dieses pädagogische Konzept und wie es ein Gewinn für alle Kinder im Kindergarten werden kann. Es macht mir viel Freude, mich da einzugraben, auch wenn es natürlich eine Herausforderung ist, alles auf isländisch zu verfassen.

Und dann die grosse Überraschung, mit der ich überhaupt nicht gerechnet habe. Schon Ende 2021 lerne ich einen wundervollen Menschen kennen, nicht ahnend dass das die ganz große Liebe werden könnte. Wir unternehmen viele schöne Dinge, werden mit jedem Tag mehr neugierig aufeinander, ungläubig staunend, dass wir uns tatsächlich getroffen haben, und die Liebe wächst vorsichtig, aber stetig heran.

Februar

Ich komme gut mit der Abschlussarbeit voran. Meine Dozentin überarbeitet schon gleich jedes entstandene Kapitel und bringt mich auf neue Spuren, was sehr arbeitsintensiv, aber extrem hilfreich ist.

Björgvin und ich unternehmen tolle Sachen, unter anderem fahren wir in den Borgarfjörður, auf die Halbinsel Reykjanes, mit Freunden in eine neu entdeckte Eishöhle, sind mehrere Stunden auf dem Gletscher unterwegs, bei allerbestem Wetter.

Ab und an gibt es eine Tour, die ich als Guide übernehmen kann: Einen Tagesausflug im Borgarfjörður und Reykjanes, eine Stadtführung. Es ist gut, nicht ganz einzurosten…

Und dann ist plötzlich alles ganz anders. Am selben Tag, als in Island sämtliche Beschränkungen, PCR-Tests usw. abgeschafft werden, bekomme ich Covid. Mein Partner drei Tage später. Er zieht bei mir ein und bleibt auch danach in meiner winzigen Wohnung, auch 2023 noch wohnen wir hier. Vielleicht passt es so gut, weil 11,5 seine Lieblingszahl ist und jeder von uns soviel Platz zur Verfügung hat 🙂

Für uns aber bleibt die Zeit stehen. Covid erwischt uns mit voller Härte. Neben Lungenproblemen sind wir extrem kraftlos, haben Hör- und Sehstörungen, ich kann weder fernsehen noch am Laptop arbeiten (was beim Schreiben einer Abschlussarbeit nicht besonders hilfreich ist…) und muss sogar einmal in die Notaufnahme. Vier Wochen dauert es, bis wir halbwegs wieder in der Lage sind, den Alltag zu bewältigen, und auch dann bleibt es ein Auf und Ab mit der Tagesform.

März

Die Abschlussarbeit geht wegen meiner Covid-Nachwirkungen extrem langsam voran. Ich bin kurz davor aufzugeben, aber meine Dozentin macht mir Mut und verlängert Fristen – ich beschließe es zumindest zu versuchen.

Covid hat uns noch lange im Griff, bis heute (2023) sind wir beide nicht völlig in Ordnung. Geruchsverirrungen (Rauch oder Grillduft in der Wohnung) sind da noch das Geringste. Immer wieder Kraftlosigkeit und Müdigkeit, extreme Infektanfälligkeit, Vergesslichkeit, Aufmerksamkeitsstörungen und Merkschwierigkeiten – die typische Covidwolke… Ich habe es gänzlich aufgegeben, auf Englisch zu guiden, das geht kaum und ich vermische alles mit dem Isländischen. Ich habe extreme Aufmerksamkeitsdefizite, zwei oder mehr Dinge auf einmal überfordern mich. Klar passiert es den meisten von uns mal, dass man in die Küche geht und vergessen hat was man wollte; ich gehe in die Küche und weiss gar nicht DASS ich etwas wollte, sehe etwas und fange an das zu erledigen, bis ich 2 Stunden später feststelle, dass ich die eigentliche Aufgabe versäumt habe. Das wird tatsächlich erst im Sommer etwas besser…

April

Mein Partner hilft mir extrem bei der sprachlichen Überarbeitung meiner Abschlussarbeit und ist zum Glück richtig gut darin! Die Erstabgabe der Arbeit schaffe ich nur ein paar Tage nach dem offiziellen Datum.

Dann packen wir unsere Koffer und fliegen für zehn Tage nach Deutschland, um Freunde und Familie zu besuchen und kennenzulernen. Es wird eine intensive, aber schöne Zeit.  Zurück in Island geht es an die Endüberarbeitung der Abschlussarbeit.

Mai

Fünf Tage vor dem offiziellen Termin gebe ich die Arbeit endgültig ab, wir feiern das natürlich gebührend. Und dann geht für mich die Reisesaison los. Eine Woche Rundreise und eine Woche Tagestouren von Reykjavik aus, mit 36 Leuten und grossem Bus samt Busfahrer. Ein entspannter Einstieg nach der langen Pause, denn ich kann meine Unterlagen auf der Fahrt in Ruhe nutzen, was als Driver-Guide ja leider nicht gehr, weil man da die Augen auf der Straße und die Hände am Lenkrad braucht. Ich bin froh dass ich wieder als Guide arbeiten kann.

Im Mai kommt auch Mattis zu uns, ein Freund aus Berlin, der ein Schul-Praktikum auf einem isländischen Bauernhof macht, dort aber total ausgenutzt wird und sich nicht wohl fühlt. Er wohnt in Björgvins Wohnung, die wir für den Verkauf langsam leeren, und kann in der Firma meines Partners atvreykjavik.is mitarbeiten, wo Quad-Touren in der Umgebung von Reykjavik angeboten werden. Wir unternehmen ein paar schöne Sachen gemeinsam, Mattis ist eine grosse Hilfe bei mehreren Projekten, sodass es letztlich ein Gewinn für alle Beteiligten wird.

Juni/Juli/August

Eine letzte Woche im Kindergarten, dann geht es los mit einer Rundreise um Island herum nach der andern. Als Driver–Guide, mit maximal 16 Personen, Hänger, Headset. Die erste Reise ist unfassbar anstrengend, weil es mich so viel Kraft kostet, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Aber mein Hirn ist mir wohl gesonnen und passt sich an. Nach drei Tagen wird es langsam besser.

Eigentlich war der Plan ein gemischtes Programm als Guide (also mit grösserem Bus, grösseren Gruppen, nur als Guide mit Busfahrer) und als Driver-Guide, Tagestouren und Rundreisen, aber ich bekam einen Anruf nach dem andern: Wir brauchen dich als Driver-Guide, kannst du bitte wechseln und statt der Tagestouren die Ringreise übernehmen? Sogar eine Gruppe, die ein Jahr vorher explizit mich als Guide für ihre Tagestouren-Woche gebucht hatte musste mit einem andern Guide vorliebnehmen… Insgesamt sind es in der Saison zwölf Reisen rund um Island und eine Woche Tagestouren von Reykjavik aus. Ich mag die Unabhängigkeit als Driverguide, auch wenn es bei kaputten Reifen (zwei auf einmal und kein passendes Werkzeug im Bus!) und anderen Nettigkeiten natürlich Luxus ist, sich nicht kümmern zu müssen, wenn man „nur“ Guide ist. Jede Reise ist besonders, jedes Mal tolle Menschen und Begegnungen.

Eine besondere Tour bekomme ich im Juni: Elf Tage Privattour mit einem Ehepaar. Da gehen die Uhren anders, maßgeschneidertes Programm, intensives Zusammensein. Das hat mir viel Freude gemacht, braucht aber auch ein gutes Kräftemanagement und Balancieren zwischen Nähe und Distanz.

Ende Juni, zwischen Heimkommen am Freitagabend und nächster Tour ab Sonntag ist mein Bachelor-Abschluss an der Uni zusammen mit 2000 anderen, die alle namentlich verlesen werden und auf der Bühne erscheinen. Sowas dauert, ist aber sehr feierlich für mich. Leider stellt sich später heraus, dass ich für eine Anerkennung als Heilpädagogin tatsächlich noch ein ganzes Jahr dranhängen muss. Aber jetzt erstmal Pause. Im Juli feiern wir meinen Abschluss mitsamt unser beider Geburtstage.

Fast ein Jahr nach dem Vulkanausbruch am Fagradalsfjall gibt es fast an derselben Stelle einen neuen Vulkanausbruch. Auch diesmal gehen Erdbebenschwärme voraus, bevor im August ein knapp dreiwöchiger friedlicher Ausbruch stattfindet. Der Weg ist deutlich länger, unzugänglicher, beschwerlicher, aber es lohnt sich und wir geniessen es, die Wärme und und das pulsierende Fauchen in sicherer Entfernung von etwa 500 m zu erleben.

September

Wir sind beide ziemlich erschöpft von der vielen Arbeit. Björgvin fährt mit kleinen Touristengruppen auf Berge, oft mehrfach am Tag, besonders beliebt sind die Midnight-Sun-Touren (im Winter Nordlicht-Touren), ich bin auch ständig unterwegs. So gönnen wir uns zwei Wochen Auszeit. Wir machen zweimal eine Mehrtagestour mit allerschönsten Herbstfarben und Nordlichtern und geniessen die freie Zeit, aber auch die atemberaubenden Landschaften, die wir teils beide noch nicht gesehen haben. Wir haben unseren Landcruiser umgebaut, sodass wir auf einem Gestell bequem schlafen können und gleichzeitig Platz für Gepäck ist. Zweimal ist das Wetter so herausfordernd, dass wir kurzfristig ein Zimmer buchen, einmal übernachten wir bei Freunden. Die erste Tour führt auf Hochlandwegen nach Landmannalaugar, dann über das nördliche Fjallabak (übersetzt heisst das soviel wie „hinter den Bergen“), durch die zerklüftete Eldgjá, zur Gletscherlagune und auf dem Rückweg in die ausserirdisch wirkende Schlucht Þakgíl. Im Norden ist das grösste Highlight die Stuðlagíl = Basaltsäulen-Schlucht, durch die ein Fluss fliesst. Als vor einigen Jahren der Kárahnúkur-Staudamm im Hochland für ein Kraftwerk gebaut wurde, hatte das zur Folge, dass der Wasserstand des Flusses allmählich abnahm. Und auf einmal kamen wunderschöne Wände mit Basaltsäulen zum Vorschein. Lange standen diese Fahrten schon auf der Wunschliste, aber man braucht Zeit und ein geländegängiges Fahrzeug, um diese Naturschönheiten zu bestaunen.

Oktober

Die Sturmzeit beginnt mit mehrfachen heftigen Wetterwarnungen – gelbe, orange und rote, die schlimme Schäden für Häuser und Fahrzeuge mit sich bringen. Dreimal erwischt es mich auf Reisen mit orkanartigem Sturm und gesperrten Strassen mitsamt der Unsicherheiten ob und wann man weiterfahren kann. Inklusive der Frage, wie man nach langen Wartezeiten (in denen man die Gäste bei Laune und informiert halten muss) das Programm von 2 Tagen in ein paar Stunden doch noch erfüllen kann. Das sind sehr spezielle Abenteuer… Einer der Gründe, warum meine Saison im Oktober endet, weil ich mich darauf einfach nicht den ganzen Winter über einstellen mag.

November

Wir geniessen eine Woche Berlin und anschliessend das grosse Familienwochenende zum 80. Geburtstag meiner lieben Mutter. Leider sind wir schon gleich nach Ankunft in D beide ziemlich erkältet und am Familientreffen ist meine Stimme dann ganz weg… Wir nehmen dafür Covid mit nach Island – zumindest mein Partner. Ich bekomme es zwei Wochen später beim isländischen Treffen seiner Famile, kurz nachdem ich wieder begonnen habe im Kindergarten zu arbeiten. Nahtlos bekommen wir beide Lungenentzündungen und alles mögliche andere. Als ob Covid unser Immunsystem komplett ausgeschaltet hätte…

Dezember

Seit Sommer hatten wir versucht, die Wohnung meines Partners zu verkaufen, aber weil die Leitzinsen immer weiter nach oben kletterten, scheiterte es immer wieder – die Käufer mussten selbst ihre Wohnung verkaufen, und deren Käufer bekam dann keinen Kredit…Wir nehmen wegen besonderer Umstände kurzfristig eine Verwandte mit Familie als Mieter in die Wohnung, die sich kurz darauf entschliesst, die Wohnung zu kaufen. Statt alles zu bezahlen, bekommen wir ein Haus als Teil der Kaufsumme angeboten. Eine Stunde nördlich von Reykjavík, in Borgarnes, also zu weit zum Umziehen, zumindest im Moment. Es ist ein für isländische Verhältnisse sehr altes Haus, 115 Jahre alt und unter Denkmalschutz, darf also aussen nicht ohne Genehmigung verändert werden. Es ist klein, sehr vieles muss repariert und erneuert werden, hat aber viel Charme. Wir wollen es als Ferienhaus nutzen und auch Touristen vermieten – Anfragen sind willkommen. Die ersten Gäste kommen im April. Von Borgarnes aus kann man prima Tagesausflüge in alle Richtungen unternehmen, und für 2023 wird ein grosser Boom vorausgesagt; schon jetzt ist es schwierig für den Sommer Unterkünfte zu finden. Daher wird das sicher ein gutes Unterfangen. Im Moment richten wir uns ein, verwandeln die dunkelbraunen Räume in helle, kämpfen mit Wasser im Keller und einem frechen, unfreiwilligen Haustier. Aber wir haben uns in dieses Häuschen verliebt, nutzen jeden freien Tag um dort zu sein. Und wer weiss, was die Zukunft noch alles bringen wird… 😃

Das war 2022. Ein verspäteter Jahresrückblick.

10 Gedanken zu “Das war 2022. Ein verspäteter Jahresrückblick.

  1. Michael Rohde schreibt:

    Danke für den Einblick in Dein Leben mit schönen und schweren Seiten. Gott segne Eure Partnerschaft! Die ausgewählten Bilder sind atemberaubend und nähren in mir den Wunsch Island kennen zu lernen – unglaublich, als wäre man bei der Schöpfung dabei…

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  2. Hallo Kerstin,
    vielen Dank fuer dein Update. Ich habe mich schon manchmal gefragt, wie es dir wohl geht.
    Und was fuer schoene Neuigkeiten und Erlebnisse du zu berichten hast! Das freut mich wirklich sehr. 🙂 Ich wuensche dir und euch fuer 2023 ganz viel Gesundheit, Humor und Freude am Miteinander.
    Liebe Gruesse aus dem Yukon,
    Luisa

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  3. Mirjam schreibt:

    Liebe Kerstin, danke für deinen Jahresrückblick. Manches hatte ich ja mitbekommen, aber längst nicht alles. Es war viel los bei dir. Aufregendes, Beglückendes, Mühsames. Sei auch in 2023 gesegnet! Dass ihr jetzt ein Ferienhaus habt, ist toll. Ich hoffe, ihr kommt mit der Renovierung gut voran.
    Viele Grüße Mirjam

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  4. Dietmar Zacher schreibt:

    Guten Morgen Kerstin, ich komme erst heute dazu, dir kurz zu antworten. Deine Berichte und die dazugehörigen Fotos sind immer wieder toll, trotz aller Krankheitsbilder, die du für euch beide beschreibst. Es klingt alles nach einem für dich sehr ausgewogenen und durchdachten Plan. Ich freue mich für dich, dass es alles klappt und dass du einen Freund mit wohl vielen gleichen Interessen gefunden hast. Die Fotos sind auch immer wieder faszinierend, auch wenn es für mich zu kalt und feucht wäre. du weist, ich bin eher der Griechenlandtyp, wo ich im Juni nach meinem 60.Geb. auch sein werde, der 1. Urlaub ohne Cora seit unserer Hochzeit, da sie nicht mit Rucksack über die Inseln ziehen möchte und kann; dies ist aber seit 20 Jahren ein Traum von mir. Genug von mir. Frage: hast du eigentlich einen Gemeindeanschluß dort? Ich wünsche dir ein tolles neues Jahr, wir bekommen bestimmt viel von deinem leben im nächsten Bericht. Liebe Grüße aus der alten Heimat, Dietmar

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  5. Kati Carrapa schreibt:

    Liebe Kerstin! Danke für deinen so tollen Jahresrückblick! Ein bisschen was wusste ich ja schon, aber es ist toll, dass du dir so eine Mühe gemacht hast!

    Ich habe mich auch gefreut als ich das Alte Bamberger Rathaus bei deinen Fotos entdeckt habe. 🙂

    Sei ganz lieb gegrüßt (wieder aus New York), Kati

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