Verliebt, verlobt…

Wie voll kann ein Jahr werden? Ich staune jedesmal aufs Neue, was da alles rein passt! Jedenfalls hatte ich von vielem, was in diesem vergangenen Jahr kommen würde, am Neujahrstag 2023 noch gar keine Ahnung. Es war eine herausfordernde und zugleich wunderbare Zeit.

Unser Haus in Borgarnes

Im Januar konnten wir unser neues Haus übernehmen. Der Schock war zunächst gross. Es war noch alles voller Gerümpel, Möbel und Unmengen von Lego, das die bisherigen Besitzer krankheitsbedingt nicht eingepackt und mitgenommen hatten. So haben wir einen ganzen Tag dafür verwendet, um alles aus dem Haus zu schaffen, in unseren Hänger zu laden und zu ihnen nach Reykjavík zu bringen. Auch draussen unter dem Schnee kam nach und nach jede Menge zum Vorschein, als es taute – allein fünf Roller und viele andere wertvolle Dinge – zusammen mit jeder Menge Müll.


Auch im Haus war viel zu tun – nicht nur Schönheitsreparaturen, sondern es fehlten innen auch alle Fensterverkleidungen und Leisten. Die Wände waren schwarz gestrichen, eine fehlende Treppenstufe gab einen direkten Zugang zum Keller… Wir haben jedes Wochenende die Stunde Fahrtzeit in Kauf genommen, um alles bewohnbar zu machen, und so nach und nach offenbarte das Haus jede Menge Charme.

Eigentlich wollten wir das Haus als AirBnb an Touristen vermieten, aber zuerst sollte ein Teil unserer Familie aus Deutschland dort einen schönen Urlaub machen können. Kurz bevor sie Anfang April kamen, waren wir dann auch fertig mit all den vielen kleinen und grossen Arbeiten, jedenfalls zufrieden für den Moment, denn so ein Haus ist ja eigentlich nie fertig. Aber die Mäuse waren (vorerst) vertrieben, die Überschwemmungen im Keller dank Pumpe (ebenfalls vorerst) im Griff, und auch sonst war alles freundlich und hell eingerichtet.

Umzug

Nachdem die Familie wieder abgereist war, ging es an die letzten Feinarbeiten, Fotos für die Werbung und so weiter. Aber auf einmal wurde im Mai plötzlich die Einfahrt zum Grundstück gesperrt und die Strasse einen Kilometer lang aufgerissen. Erst zwei Tage vor Weihnachten wurde sie (vorläufig, weil noch nicht asphaltiert!) wieder für den Durchgang und Verkehr geöffnet. Wir konnten unsere Gäste ja schlecht durch den angrenzenden Park mitsamt ihrem Gepäck schicken – also lag das Projekt erst einmal auf Eis. Und auf einmal merkten wir, wie sehr wir uns inzwischen in das Haus verliebt hatten und beschlossen so im August, dass wir stattdessen selbst einziehen würden.

Natürlich standen nun noch einmal jede Menge Veränderungen an, vor allem Stauraum und Möbel mussten her. Im Oktober haben wir dann alle Sachen aus unserer kleinen Wohnung im Hauptstadtgebiet geholt und viele Male Kisten und Möbel mit Schubkarre durch den besagten Park in unser Haus gebracht. Seither leben wir hier in Borgarnes, einem kleinen beschaulichen Ort. Unser Haus ist ein bisschen zurückgesetzt von der Strasse, dadurch haben wir es ruhig und können in unserem Hotpot auf der Terasse ganz ungestört baden. Wir geniessen es sehr, hier leben zu dürfen.

Verliebt – verlobt – verheiratet

Als wir Anfang des Jahres das Haus unser eigen nennen konnten, beschlossen wir uns ganz offiziell im Online-Register als in „sambúð“ lebend einzutragen. Damit bescheinigt man nicht nur dass man zusammen in einer „Bude“ lebt, sondern man hat auch eine ganze Reihe Rechte und hat quasi einen offiziellen Status, der eine eingetragene Lebenspartnerschaft ist. Es ist eigentlich ein ganz schnödes Eintragen im Internet, aber wir wollten es ein bisschen feierlich gestalten. Am Ende ist das ganze dann etwas aus dem Ruder gelaufen und am Ende des Abends haben wir uns verlobt – die Ringe haben wir dann gemeinsam eine Woche später gekauft.

Als wir miteinander darüber nachdachten, wann wir eine Hochzeit ins Auge fassen wollten, war uns beiden schnell klar, dass wir auf jeden Fall unsere Eltern dabei haben wollten. Alle drei sind schon teilweise weit über achtzig. Und meine Mutter, die nicht gerne reist, hatte sich für Ostern zusammen mit meiner Schwester und ihrer Familie bei uns angemeldet. Kurzerhand nutzten wir die Gelegenheit und haben in den sechs Wochen bis Ostern alle Hebel in Bewegung gesetzt, um alle möglichen Dokumente und Kleider zusammenzubekommen, eine Kirche und eine Pfarrerin zu finden, die Musik zu organisieren, eine Online-Direktübertragung auf die Beine zu stellen, unsere Freunde einzuspannen für herrliche Musikbeiträge, die Festgestaltung und Übersetzung, und mitten in der Konfirmationszeit einen freien Raum für den Nachmittag zum Feiern zu haben.

Es wurde ein wunderschöner Ostermontag, unvergesslich, mit überraschender Sonne und hätte auch nach einem Jahr Vorbereitung nicht schöner werden können. Nur eine ganze Menge Freunde und Familie fehlten schmerzhaft… Die Pfarrerin hatte uns getrennt voneinander aufschreiben lassen, wie wir uns kennengelernt haben und warum wir einander heiraten wollen – das wurde ein grosser Teil der Ansprache und rührte uns beide zu Tränen. Wir sind unendlich dankbar für diesen Tag, für alle die ihn so wunderbar haben glänzen lassen, all die Überraschungen meiner Familie, und vor allem dass wir einander gefunden haben und uns so bereichern. Das ist Glück.

Reisen

Der Sommer war natürlich wieder angefüllt mit Reisen für mich. Zehnmal bin ich rund um Island gefahren, dabei sind vier Reisen sogar ausgefallen, wohl wegen der hohen Inflation und der weltweit angespannten Lage, aber es war auch so mehr als genug Arbeit. Die Reisen waren vielfältig, einige neue Gegenden waren dabei, das ist immer ein Highlight. Zwischen fünf, sechs, acht, zehn oder zwölf Tagen (Berge und Meer, SKR und Taruk) war ich fast immer als Driver-Guide mit Headset und maximal 16 Leuten im Sprinter unterwegs und hatte ganz fantastische Menschen in meinen Gruppen. Es hat mir wie immer viel Freude gemacht und ich habe viele Erfahrungen gesammelt. Allerdings machte mir zunehmend meine Gesundheit Sorgen, ich hatte seit Jahresbeginn leichte Probleme mit meinen Knien.

Daraus wurden so schlimmen Schmerzen, dass ich einmal im August kaum noch laufen oder die Treppe steigen konnte. Was ich auch versuchte, ich fand einfach nicht heraus, warum es mal besser und mal schlechter war, bis mir einer meiner Gäste in der allerletzten Fahrt den Tipp gab, mal auf Histamin in der Nahrung zu schauen. Und siehe da, die „Histaminbomben“ weglassend, liessen auch die Schmerzen nach! Was für ein Segen, endlich eine Stellschraube zu haben. Inzwischen komme ich ganz gut klar, habe alles mögliche gelernt, vertrage nach einer sehr strengen Diätphase auch wieder deutlich mehr und bin nahezu schmerzfrei. Hurra!

Und schon wieder Uni

Ende August ging für mich dann die Uni wieder los. Ich habe jetzt noch ein Jahr zu absolvieren, damit ich dann mit dem Zusatzdiplom (das ist der halbe Master) endlich die Anerkennung als Heilpädagogin beantragen kann. Das ist nicht nur finanziell wichtig, sondern auch um endlich die Diskriminierung zu beenden, die schon viele Jahre – seit meiner Ausbildung in der damaligen DDR – mit mir geht. Ich bin froh, dass das dann endlich zur Ruhe kommen darf. Das Studium ist anstrengend, zeitraubend vor allem. Jeder Menge Lesestoff, jede Menge Hausarbeiten und Gruppenprojekte.

Das 1. Semester habe ich gut hinter mich gebracht, aber ich war auch ziemlich müde und krank im Dezember nach Semesterschluss. Es ist ja nicht nur das Studium selbst, sondern auch die Arbeit im Kindergarten, 60 % im Herbst, 80 % jetzt im Januar und Februar (danach muss ich in´s Praktikum). Ich bin noch immer im selben Kindergarten wie vorher, weil es einfach ein Traumarbeitsplatz ist. Mein Mann und ich fahren beide am Morgen sehr früh los, ich lade ihn in seiner Firma ab und fahre dann weiter in den Kindergarten, wo ich ein Kind mit 100% Förderbedarf begleite und unterstütze. Am Spätnachmittag geht es dann die einstündige Fahrt zurück nach Hause, meistens wieder gemeinsam, ausser er hat eine Nordlicht-Tour mit den Quads am Abend.

Was wohl auf uns wartet im neuen Jahr?

Jetzt hat das zweite Semester schon begonnen. Im März/April muss ich ein unbezahltes Praktikum machen und werde in Akranes (etwa die Hälfte der Strecke nach Reykjavík) in einer interessanten Schule arbeiten. Das wird meine erste direkte Begegnung mit dem isländischen Schulsystem. In Island ist es gesetzliche Pflicht, dass alle Kinder in der Heimatschule lernen dürfen und nicht in eine Sonder-/Spezialschule müssen. Das bringt natürlich viele Herausforderungen und klappt oft nur sehr schlecht. Die Schule dort hat ein super Konzept erarbeitet und ich bin froh, dass ich einen Einblick in ein funktionierendes System bekommen darf.

Anfang Mai geht das Semester dann mit einigen Hausarbeiten zu Ende und wir freuen uns auf ein Familientreffen in Deutschland samt mehreren Geburtstagsfeiern, und danach geht für mich die Reisesaison auch schon wieder los. Am 15. Juni ist offizielle Uni-Abschlussfeier, und darauf freue ich mich schon riesig!!!

Was das Jahr sonst noch bringen wird, ist noch ungewiss. Hoffentlich wird sich manches, das uns jetzt noch Kopfzerbrechen bereitet, zum Guten wenden.

Vulkanausbrüche

Auch in den deutschen Nachrichten konnte man mitverfolgen, dass in den letzten Monaten auf der Halbinsel Reykjanes im äußersten Südwesten von Island viel vulkanische Aktivität im Gange war. Gut siebenhundert Jahre lang war es ruhig auf der Halbinsel, an dessen nordwestlichem Ende der internationale Flughafen Keflavík ist.

Kaum jemand hat wirklich damit gerechnet, dass hier wieder Vulkanausbrüche sein würden, obwohl es dort aktive Hochtemperaturgebiete gibt, die immer im Zusammenhang mit aktiven Vulkangebieten auftreten und mit deren heißem Wasser Energie produziert wird und die Häuser beheizt werden. Nun sagen die Wissenschaftler, dass nach den siebenhundert Jahren Ruhe dreihundert Jahre Aktivität folgen werden. Das heisst natürlich nicht, dass ununterbrochen ein Vulkan ausbricht. Momentan ist es aber tatsächlich etwa einmal im Monat. In den letzten drei Jahren gab es nun schon sechs Ausbrüche im selben Gebiet. Das Foto stammt vom letzten Ausbruch und ist von unserem Wohnort aufgenommen worden. Die ersten drei Ausbrüche haben wir „Touristenausbrüche“ genannt, etwas das man bestaunen, womöglich nach einer beschwerlichen Wanderung besichtigen kann und wo keine direkte Gefahr für bewohnte Gebiete besteht. Die Ausbrüche selbst sind jedes Mal kürzer geworden: War der erste etwa ein halbes Jahr aktiv, so war es letzten Sommer nur eine Woche, im Dezember und Januar drei Tage und nun im Februar nur einen Tag. Zugleich waren die letzten drei Ausbrüche von anderer Qualität, weil sie einen Teil Dorfes Grindavík zerstörten und die gesamte Infrastruktur angegriffen wurde. Der Ort wurde schon im November evakuiert bei grossen Erdbeben, die wir auch hier, 80 km Luftlinie entfernt, deutlich spürten; inzwischen ist er unbewohnbar, weil unter dem Ort ein instabiles Spaltensystem entstanden ist, das immer wieder einstürzt.

Die Bilder von zerstörten Strassen, einem Mann der bei Bauarbeiten in einer Spalte verschwand und grossräumigem Ausfall von Heisswasserversorgung (während grosse Kälte herrschte) und Stromausfällen gehen um die Welt und die Leute differenzieren nicht dass es sich nur um einen sehr kleinen, lokalen Bereich von Island handelt, zumal die Blaue Lagune – gleich nebenan – überall beliebt ist. Viele denken, ganz Island ist zu einem gefährlichen und lebensfeindlichen Ort geworden und man sei quasi nirgends sicher. Das macht sich sofort bemerkbar in den Zahlen der Touristen, die gebuchte Touren wieder absagen. Mein Mann hatte in diesem Winter so wenige Touren wie nie zuvor mit seinen Quads. Und ich bin zwar gut gebucht für den Sommer, rechne aber damit, dass es jede Menge Ausfälle gibt, zumal Island auch noch teurer geworden ist als je zuvor. Ich bin froh, dass ich jederzeit in meinem Kindergarten willkommen bin und arbeiten kann. Ansonsten lassen wir uns einfach überraschen was kommt.

Weil immer wieder viele fragen: Wir sind gut 80 Kilometer Luftlinie entfernt und in Sicherheit. Das Ganze ist sehr lokal begrenzt, der Rest von Island ist sicher und man kann hier immer noch prima leben und Urlaub machen. Also: Herzlich willkommen!

Verliebt, verlobt…

Das war 2022. Ein verspäteter Jahresrückblick.

Wieder ist ein Jahr vergangen, ohne dass auch nur ein einziger Blogeintrag hier gelandet wäre, und das neue Jahr ist auch schon längst nicht mehr ganz neu… Es scheint sich allmählich als Tradition zu entwickeln dass es nur einen Jahresrückblick gibt. Aber immerhin… Also – los geht´s mit einem kleinen Einblick in das, was 2022 bei mir los war. Bei den Bildern wie gehabt: Anklicken zum Vergrössern 😉

Januar

Für mich beginnt das zweite Semester des Bachelor Heilpädagogik an der Universität Islands. Kein Unterricht mehr, dafür die Abschlussarbeit. Ich schreibe über das TEACCH–Programm, das ich in den letzten Jahren im Kindergarten in meiner Arbeit mit autistischen Kindern nutzen durfte. TEACCH ist die Abkürzung für „Treatment and Education of Autistic and related Communication handicapped Children“, was man mit „Behandlung und pädagogische Förderung autistischer und in ähnlicher Weise kommunikationsbehinderter Kinder“ übersetzen kann. Ich schreibe über dieses pädagogische Konzept und wie es ein Gewinn für alle Kinder im Kindergarten werden kann. Es macht mir viel Freude, mich da einzugraben, auch wenn es natürlich eine Herausforderung ist, alles auf isländisch zu verfassen.

Und dann die grosse Überraschung, mit der ich überhaupt nicht gerechnet habe. Schon Ende 2021 lerne ich einen wundervollen Menschen kennen, nicht ahnend dass das die ganz große Liebe werden könnte. Wir unternehmen viele schöne Dinge, werden mit jedem Tag mehr neugierig aufeinander, ungläubig staunend, dass wir uns tatsächlich getroffen haben, und die Liebe wächst vorsichtig, aber stetig heran.

Februar

Ich komme gut mit der Abschlussarbeit voran. Meine Dozentin überarbeitet schon gleich jedes entstandene Kapitel und bringt mich auf neue Spuren, was sehr arbeitsintensiv, aber extrem hilfreich ist.

Björgvin und ich unternehmen tolle Sachen, unter anderem fahren wir in den Borgarfjörður, auf die Halbinsel Reykjanes, mit Freunden in eine neu entdeckte Eishöhle, sind mehrere Stunden auf dem Gletscher unterwegs, bei allerbestem Wetter.

Ab und an gibt es eine Tour, die ich als Guide übernehmen kann: Einen Tagesausflug im Borgarfjörður und Reykjanes, eine Stadtführung. Es ist gut, nicht ganz einzurosten…

Und dann ist plötzlich alles ganz anders. Am selben Tag, als in Island sämtliche Beschränkungen, PCR-Tests usw. abgeschafft werden, bekomme ich Covid. Mein Partner drei Tage später. Er zieht bei mir ein und bleibt auch danach in meiner winzigen Wohnung, auch 2023 noch wohnen wir hier. Vielleicht passt es so gut, weil 11,5 seine Lieblingszahl ist und jeder von uns soviel Platz zur Verfügung hat 🙂

Für uns aber bleibt die Zeit stehen. Covid erwischt uns mit voller Härte. Neben Lungenproblemen sind wir extrem kraftlos, haben Hör- und Sehstörungen, ich kann weder fernsehen noch am Laptop arbeiten (was beim Schreiben einer Abschlussarbeit nicht besonders hilfreich ist…) und muss sogar einmal in die Notaufnahme. Vier Wochen dauert es, bis wir halbwegs wieder in der Lage sind, den Alltag zu bewältigen, und auch dann bleibt es ein Auf und Ab mit der Tagesform.

März

Die Abschlussarbeit geht wegen meiner Covid-Nachwirkungen extrem langsam voran. Ich bin kurz davor aufzugeben, aber meine Dozentin macht mir Mut und verlängert Fristen – ich beschließe es zumindest zu versuchen.

Covid hat uns noch lange im Griff, bis heute (2023) sind wir beide nicht völlig in Ordnung. Geruchsverirrungen (Rauch oder Grillduft in der Wohnung) sind da noch das Geringste. Immer wieder Kraftlosigkeit und Müdigkeit, extreme Infektanfälligkeit, Vergesslichkeit, Aufmerksamkeitsstörungen und Merkschwierigkeiten – die typische Covidwolke… Ich habe es gänzlich aufgegeben, auf Englisch zu guiden, das geht kaum und ich vermische alles mit dem Isländischen. Ich habe extreme Aufmerksamkeitsdefizite, zwei oder mehr Dinge auf einmal überfordern mich. Klar passiert es den meisten von uns mal, dass man in die Küche geht und vergessen hat was man wollte; ich gehe in die Küche und weiss gar nicht DASS ich etwas wollte, sehe etwas und fange an das zu erledigen, bis ich 2 Stunden später feststelle, dass ich die eigentliche Aufgabe versäumt habe. Das wird tatsächlich erst im Sommer etwas besser…

April

Mein Partner hilft mir extrem bei der sprachlichen Überarbeitung meiner Abschlussarbeit und ist zum Glück richtig gut darin! Die Erstabgabe der Arbeit schaffe ich nur ein paar Tage nach dem offiziellen Datum.

Dann packen wir unsere Koffer und fliegen für zehn Tage nach Deutschland, um Freunde und Familie zu besuchen und kennenzulernen. Es wird eine intensive, aber schöne Zeit.  Zurück in Island geht es an die Endüberarbeitung der Abschlussarbeit.

Mai

Fünf Tage vor dem offiziellen Termin gebe ich die Arbeit endgültig ab, wir feiern das natürlich gebührend. Und dann geht für mich die Reisesaison los. Eine Woche Rundreise und eine Woche Tagestouren von Reykjavik aus, mit 36 Leuten und grossem Bus samt Busfahrer. Ein entspannter Einstieg nach der langen Pause, denn ich kann meine Unterlagen auf der Fahrt in Ruhe nutzen, was als Driver-Guide ja leider nicht gehr, weil man da die Augen auf der Straße und die Hände am Lenkrad braucht. Ich bin froh dass ich wieder als Guide arbeiten kann.

Im Mai kommt auch Mattis zu uns, ein Freund aus Berlin, der ein Schul-Praktikum auf einem isländischen Bauernhof macht, dort aber total ausgenutzt wird und sich nicht wohl fühlt. Er wohnt in Björgvins Wohnung, die wir für den Verkauf langsam leeren, und kann in der Firma meines Partners atvreykjavik.is mitarbeiten, wo Quad-Touren in der Umgebung von Reykjavik angeboten werden. Wir unternehmen ein paar schöne Sachen gemeinsam, Mattis ist eine grosse Hilfe bei mehreren Projekten, sodass es letztlich ein Gewinn für alle Beteiligten wird.

Juni/Juli/August

Eine letzte Woche im Kindergarten, dann geht es los mit einer Rundreise um Island herum nach der andern. Als Driver–Guide, mit maximal 16 Personen, Hänger, Headset. Die erste Reise ist unfassbar anstrengend, weil es mich so viel Kraft kostet, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Aber mein Hirn ist mir wohl gesonnen und passt sich an. Nach drei Tagen wird es langsam besser.

Eigentlich war der Plan ein gemischtes Programm als Guide (also mit grösserem Bus, grösseren Gruppen, nur als Guide mit Busfahrer) und als Driver-Guide, Tagestouren und Rundreisen, aber ich bekam einen Anruf nach dem andern: Wir brauchen dich als Driver-Guide, kannst du bitte wechseln und statt der Tagestouren die Ringreise übernehmen? Sogar eine Gruppe, die ein Jahr vorher explizit mich als Guide für ihre Tagestouren-Woche gebucht hatte musste mit einem andern Guide vorliebnehmen… Insgesamt sind es in der Saison zwölf Reisen rund um Island und eine Woche Tagestouren von Reykjavik aus. Ich mag die Unabhängigkeit als Driverguide, auch wenn es bei kaputten Reifen (zwei auf einmal und kein passendes Werkzeug im Bus!) und anderen Nettigkeiten natürlich Luxus ist, sich nicht kümmern zu müssen, wenn man „nur“ Guide ist. Jede Reise ist besonders, jedes Mal tolle Menschen und Begegnungen.

Eine besondere Tour bekomme ich im Juni: Elf Tage Privattour mit einem Ehepaar. Da gehen die Uhren anders, maßgeschneidertes Programm, intensives Zusammensein. Das hat mir viel Freude gemacht, braucht aber auch ein gutes Kräftemanagement und Balancieren zwischen Nähe und Distanz.

Ende Juni, zwischen Heimkommen am Freitagabend und nächster Tour ab Sonntag ist mein Bachelor-Abschluss an der Uni zusammen mit 2000 anderen, die alle namentlich verlesen werden und auf der Bühne erscheinen. Sowas dauert, ist aber sehr feierlich für mich. Leider stellt sich später heraus, dass ich für eine Anerkennung als Heilpädagogin tatsächlich noch ein ganzes Jahr dranhängen muss. Aber jetzt erstmal Pause. Im Juli feiern wir meinen Abschluss mitsamt unser beider Geburtstage.

Fast ein Jahr nach dem Vulkanausbruch am Fagradalsfjall gibt es fast an derselben Stelle einen neuen Vulkanausbruch. Auch diesmal gehen Erdbebenschwärme voraus, bevor im August ein knapp dreiwöchiger friedlicher Ausbruch stattfindet. Der Weg ist deutlich länger, unzugänglicher, beschwerlicher, aber es lohnt sich und wir geniessen es, die Wärme und und das pulsierende Fauchen in sicherer Entfernung von etwa 500 m zu erleben.

September

Wir sind beide ziemlich erschöpft von der vielen Arbeit. Björgvin fährt mit kleinen Touristengruppen auf Berge, oft mehrfach am Tag, besonders beliebt sind die Midnight-Sun-Touren (im Winter Nordlicht-Touren), ich bin auch ständig unterwegs. So gönnen wir uns zwei Wochen Auszeit. Wir machen zweimal eine Mehrtagestour mit allerschönsten Herbstfarben und Nordlichtern und geniessen die freie Zeit, aber auch die atemberaubenden Landschaften, die wir teils beide noch nicht gesehen haben. Wir haben unseren Landcruiser umgebaut, sodass wir auf einem Gestell bequem schlafen können und gleichzeitig Platz für Gepäck ist. Zweimal ist das Wetter so herausfordernd, dass wir kurzfristig ein Zimmer buchen, einmal übernachten wir bei Freunden. Die erste Tour führt auf Hochlandwegen nach Landmannalaugar, dann über das nördliche Fjallabak (übersetzt heisst das soviel wie „hinter den Bergen“), durch die zerklüftete Eldgjá, zur Gletscherlagune und auf dem Rückweg in die ausserirdisch wirkende Schlucht Þakgíl. Im Norden ist das grösste Highlight die Stuðlagíl = Basaltsäulen-Schlucht, durch die ein Fluss fliesst. Als vor einigen Jahren der Kárahnúkur-Staudamm im Hochland für ein Kraftwerk gebaut wurde, hatte das zur Folge, dass der Wasserstand des Flusses allmählich abnahm. Und auf einmal kamen wunderschöne Wände mit Basaltsäulen zum Vorschein. Lange standen diese Fahrten schon auf der Wunschliste, aber man braucht Zeit und ein geländegängiges Fahrzeug, um diese Naturschönheiten zu bestaunen.

Oktober

Die Sturmzeit beginnt mit mehrfachen heftigen Wetterwarnungen – gelbe, orange und rote, die schlimme Schäden für Häuser und Fahrzeuge mit sich bringen. Dreimal erwischt es mich auf Reisen mit orkanartigem Sturm und gesperrten Strassen mitsamt der Unsicherheiten ob und wann man weiterfahren kann. Inklusive der Frage, wie man nach langen Wartezeiten (in denen man die Gäste bei Laune und informiert halten muss) das Programm von 2 Tagen in ein paar Stunden doch noch erfüllen kann. Das sind sehr spezielle Abenteuer… Einer der Gründe, warum meine Saison im Oktober endet, weil ich mich darauf einfach nicht den ganzen Winter über einstellen mag.

November

Wir geniessen eine Woche Berlin und anschliessend das grosse Familienwochenende zum 80. Geburtstag meiner lieben Mutter. Leider sind wir schon gleich nach Ankunft in D beide ziemlich erkältet und am Familientreffen ist meine Stimme dann ganz weg… Wir nehmen dafür Covid mit nach Island – zumindest mein Partner. Ich bekomme es zwei Wochen später beim isländischen Treffen seiner Famile, kurz nachdem ich wieder begonnen habe im Kindergarten zu arbeiten. Nahtlos bekommen wir beide Lungenentzündungen und alles mögliche andere. Als ob Covid unser Immunsystem komplett ausgeschaltet hätte…

Dezember

Seit Sommer hatten wir versucht, die Wohnung meines Partners zu verkaufen, aber weil die Leitzinsen immer weiter nach oben kletterten, scheiterte es immer wieder – die Käufer mussten selbst ihre Wohnung verkaufen, und deren Käufer bekam dann keinen Kredit…Wir nehmen wegen besonderer Umstände kurzfristig eine Verwandte mit Familie als Mieter in die Wohnung, die sich kurz darauf entschliesst, die Wohnung zu kaufen. Statt alles zu bezahlen, bekommen wir ein Haus als Teil der Kaufsumme angeboten. Eine Stunde nördlich von Reykjavík, in Borgarnes, also zu weit zum Umziehen, zumindest im Moment. Es ist ein für isländische Verhältnisse sehr altes Haus, 115 Jahre alt und unter Denkmalschutz, darf also aussen nicht ohne Genehmigung verändert werden. Es ist klein, sehr vieles muss repariert und erneuert werden, hat aber viel Charme. Wir wollen es als Ferienhaus nutzen und auch Touristen vermieten – Anfragen sind willkommen. Die ersten Gäste kommen im April. Von Borgarnes aus kann man prima Tagesausflüge in alle Richtungen unternehmen, und für 2023 wird ein grosser Boom vorausgesagt; schon jetzt ist es schwierig für den Sommer Unterkünfte zu finden. Daher wird das sicher ein gutes Unterfangen. Im Moment richten wir uns ein, verwandeln die dunkelbraunen Räume in helle, kämpfen mit Wasser im Keller und einem frechen, unfreiwilligen Haustier. Aber wir haben uns in dieses Häuschen verliebt, nutzen jeden freien Tag um dort zu sein. Und wer weiss, was die Zukunft noch alles bringen wird… 😃

Das war 2022. Ein verspäteter Jahresrückblick.

Lernen, lernen, lernen… – das war 2021

Am Ende eines Jahres zurückzuschauen ist eine schöne Sache. 2021 war ein volles, gefülltes, erfülltes Jahr. Es war vor allem endlich vieles, das ich gelernt habe.

Es begann mit allerlei Prüfungen in der Tourguide-Schule Islands. Vor allem wurde es sehr praktisch – im Unterricht und auch mit dem Bus ging es durchs ganze Land. Das war anstrengend, hat mich aber wirklich bereichert in meinem Repertoire als Reiseleiterin. Diese Schätze ruhen jetzt erst einmal, bis ich sie dann hoffentlich 2022 wieder aus der Versenkung holen und an meine Gäste verschenken kann. 

Dann zum ersten Mal das Erleben eines Vulkanausbruches, ganz nah…
Mit all seiner Faszination und auch seinen Schattenseiten wie z.B. Gasdunst in der Luft, was für jemanden wie mich mit empfindlicher Lunge eher nicht so gut ist. Im September hörte der Ausbruch dann plötzlich auf. Vor drei Wochen wurde der Ausbruch auch ganz offiziell für beendet erklärt. Das hat dem Vulkan wohl nicht besonders gefallen, denn drei Tage später begannen die zahlreichen und teils starken Erdbeben (Stärke 3-4,8) aufs Neue und erinnerten an die Wochen vor dem Ausbruch im März. Tatsächlich sammelt sich aufs Neue Lava und Anfang des neuen Jahres rechnen wir mit einem erneuten Ausbruch, wahrscheinlich an derselben Stelle. Wir werden sehen.

Im Sommer in Deutschland habe ich vor allem immer wieder Geduld lernen müssen, bis meine Wohnung endlich leer und übergeben war. Und loslassen. So viele schöne Sachen, die mir gehörten, sind an andere übergegangen. Ein Ehepaar, dem ich meine Kellerregale geschenkt hatte (und ich erinnere mich noch an den Spass beim gemeinsamen Auseinanderschrauben im engen Kellerraum!) schrieb mir eine herzliche Mail und schickte sogar Fotos vom neuen Zuhause der Regale – herrlich. Loslassen auch von Beziehungen in ihrer bisherigen Art, Beziehungen die sich verändern werden, einfach weil ich nicht mehr so regelmässig und lange da sein werde. Loslassen, um die Hände frei zu haben, neu gestalten zu können, ein neues Kapitel schreiben zu können. 

Und dann ging das Lernen auch ganz konkret wieder los – mit meinem Bachelor-Studium Heilpädagogik an der Universität Islands, für das ich 30 Einheiten (= zwei volle Kurse plus die Bachelorarbeit, die noch vor mir liegt) brauche, um es abzuschliessen. Neben den Vorlesungen lief vieles in Arbeitsgruppen, die mal besser, mal schlechter zusammenarbeiteten.

Wöchtentlich mussten kleinere Hausarbeiten zum Unterrichtsstoff abgegeben werden, ein grosses Interview musste geführt und Wort für Wort transkribiert werden, dazu dann noch sieben grössere Hausarbeiten und schliesslich zwei umfangreiche Abschlussprüfungen. Es war herausfordernd, ermüdend, spannend. Am Ende schliesse ich beide Fächer mit 8 von 10 Punkten ab und bin hoch zufrieden.

Von Januar bis Mai schreibe ich nun die Abschlussarbeit. Lernen musste ich leider auch, dass damit leider immer noch nicht Schluss ist. Denn für eine Berufserlaubnis bräuchte ich ein Zusatzstudium (das ist nicht der Master), das weitere 60 (!) Einheiten lang ist. Das hat mich doch etwas entsetzt… hilft aber ja nichts. Vielleicht mache ich ganz in Ruhe immer mal zehn Einheiten (= ein Kurs), denn ich merke dass mich das doch wirklich viel Kraft kostet neben einer vollen Arbeit noch ein volles Fernstudium zu machen. Aber eins nach dem andern; jetzt schliesse ich erstmal den BA ab.

Meine Arbeit im Kindergarten als Sonderpädagogin ist auch immer wieder ein Lernfeld. Im Frühjahr hatte ich drei verschiedene Kinder, die ich sowohl einzeln als auch in der Gruppe betreut und gefördert habe. Inzwischen habe ich nur noch zwei Kinder und immer wieder braucht es Phantasie, gute Ideen, Geduld, Gelassenheit, um ihnen gerecht zu werden und selbst nicht auszubrennen. Ich bin unendlich dankbar, dass ich die beste Kindergartenleiterin habe, die man sich verstellen kann. 🙂

Für mein Studium kam sie mir immer wieder entgegen, wenn hin und wieder Präsenz gefordert war oder die Prüfungen anstanden. Auch als ich eine Anfrage für eine Stadtführung hatte oder für den Kurs, den ich im November in der Schweiz geleitet habe – immer fand sich eine Lösung. 

Jetzt hat sie mir angeboten, weiterhin im Kindergarten zu arbeiten, denn mein Vertrag geht auf eigenen Wunsch eigentlich nur bis Ende März. Ich hatte gehofft, dass ich im Frühjahr gleich wieder als Tourguide loslegen kann, aber bis jetzt gibt es noch kaum Anfragen, zumindest nicht mit deutschen Touristen, die offensichtlich etwas vorsichtiger sind. Ich bin mir noch nicht sicher, wie das Jahr sich touristisch für mich entwickeln wird – und wer weiss was Covid noch so plötzlich hervor“zaubert“… Daher bin ich hoch erfreut über das Angebot, weiter im Kindergarten arbeiten zu dürfen. Ansonsten lasse ich einfach auf mich zu kommen und bin gespannt, was sich entwickeln wird.

Dankbar bin ich für viele Begegnungen mit alten und neuen Freunden und Menschen die mir etwas bedeuten – sowohl in Deutschland als auch in Island. Ich habe mir im Herbst trotz Studium mehr Zeit genommen, Freunde zu treffen, habe jede Menge schöne Konzert und Theatervorstellungen genossen, war mehr draussen, habe viel besser für mich gesorgt, genug geschlafen und das Studium nicht so verbissen gesehen und mich stressen lassen wie in der Tourguide-Schule. Es war immer noch anspruchsvoll genug, aber ich bin nicht so ausgepowert wie vor einem Jahr. Gut dass ich auch da lernfähig war 😉

Ich schaue zuversichtlich in das neue Jahr und bin gespannt, was sich wie entwickeln wird, was ich an Neuem lernen werde. Ich glaube, es wird ein gutes Jahr und freue mich drauf. Uns allen ein frohes, gesegnetes, gesundes, gelassenes, mutiges, grossartiges Jahr 2022!

Hier kommen zum Jahresabschluss meine besten Nordlichtbilder aus 2021.

Lernen, lernen, lernen… – das war 2021

Kinder, wie die Zeit vergeht…

4. Juni 2021. Ich sitze im neuen Panorama-Café der Norröna-Fähre von Island nach Dänemark. Ich bin auf dem Weg nach Deutschland, um dort meine Mietwohnung aufzulösen, die ich immer noch in Berlin habe. Es ist an der Zeit, das Leben etwas zu vereinfachen und zu konzentrieren…

Während ich auf das sehr ruhige Meer hinausschaue, lasse ich die Gedanken noch einmal zurückwandern durch die letzten Monate. Unglaublich dicht waren sie, ungeheuer spannend und angespannt, und doch zugleich relativ ereignisarm. Diese letzten neun Monate waren ganz und gar geprägt von meiner Ausbildung an der Isländischen Tourismusschule (Leiðsöguskólinn Íslands í MK). In den ersten Monaten war ich völlig überfordert, verstand inhaltlich nur sehr wenig wegen der vielen Fremdwörter, und kam auch beim Hören nicht hinterher, wegen der schnellen oder verwaschenen Aussprache von Dozenten und Mitschülern. Die Ausbildung war voll von grossen Prüfungen, und bis Weihnachten gab es so gut wie gar kein Privatleben. Mein Fazit ist, dass es absolut nicht empfehlenswert ist für jemanden mit nicht isländischer Muttersprache, das volle Studium neben einer vollen Arbeitsstelle zu absolvieren. Es ist möglich, kostet aber unfassbar viel Kraft. Ich sass in jeder freien Minute an den Dokumenten, versuchte alles zu übersetzen und zu verstehen, immer gleichzeitig drei bis vier Wörterbücher online offen, die mich aber alle regelmässig im Stich liessen. Es war harte, disziplinierte Arbeit. Erstaunlicherweise habe ich in den meisten Fächern gut bis sehr gut abgeschnitten und oft sogar sehr viel besser als meine Mit-Studierenden, obwohl alles auf Isländisch zu schreiben war (eine Mischung aus Multipe Choice, Definitionen und Aufsätzen). 

Gelernt habe ich wirklich viel. Von Pflanzen- und Tierkunde über Geschichte, Literatur, Kunst, Geologie, Isländische Gesellschaft, Wirtschaft, Erste Hilfe war alles dabei. Im zweiten Semester wurde der Unterricht sehr praxisrelevant: Nacheinander wurden alle Landesteile durchgenommen und alles Wissenswerte gelernt. Auch in der Geologie ging es nun nicht mehr um allgemeine Phänomene, sondern war an die konkreten Landschaften gekoppelt. Nordlichter, Sterne, Wetter, isländische Sagas, Tricks & Tipps aller Art gehörten ebenfalls dazu. Hin und wieder habe ich mich tatsächlich gefragt, wie ich ohne all das viele neue Wissen, das ich mir inzwischen angeeignet habe, jemals interessante Reiseleitung machen konnte! Und doch, ich denke dass es durchaus immer interessant und spannend war.

Meine Klasse auf der Abschlussfahrt – im Hintergrund Akureyri

Das Jahr war natürlich sehr speziell. Gerade als wir zu Studienbeginn begannen, die ersten in der Studiengruppe kennenzulernen, gab es eine neue Covid-Welle und wir mussten komplett auf Online-Unterricht umstellen. Real treffen konnten wir uns nur zu den Prüfungen, mit Maske und angespannt. Das Kennenlernen begann sehr zögerlich erst im zweiten Semester. So richtig in Gang kam es aber erst, als wir verschiedene Tages- und Wochenend-Fahrten durchs Land machten. Es gibt jede Menge Übungsfahrten, die wir komplett vorbereiten mussten, um dann zufällig für einen oder mehrere Abschnitte der Tour ausgewählt zu werden. Diese Fahrten waren zwar sehr zeitintensiv in der Vorbereitung, aber die Touren selbst machten viel Freude. Mir fiel das Guiden im Bus dank meiner Erfahrung sehr leicht, ausserdem fand es in der Wahl-Sprache statt – für die Isländer auf Englisch, für mich und einen Mitstudenten auf deutsch 🙂 Einige der Fahrten waren dann auch Prüfungsfahrten, die wurden jeweils aufgenommen und von den Sprachlehrern bewertet. Die grosse Abschlussfahrt in fünf Tagen um Island fand dann komplett auf isländisch statt. Als ich erklärte, wie das Felsenlabyrinth Dimmuborgir entstand und etliche Isländer erleichtert waren, das endlich und zum ersten Mal verstanden zu haben, war ich mächtig stolz 🙂 Diese Fahrt hat uns sehr zusammengeschweisst und Freundschaften für´s Leben entstehen lassen. Vielleicht gerade wegen der insgesamt eingeschränkten Möglichkeiten sind wir zu einer unzertrennlichen Gemeinschaft zusammengewachsen, haben uns alle von Herzen gern und haben schon Pläne für regelmässige Treffen geschmiedet. Was für ein Schatz diese Gemeinschaft ist! Und wie dankbar ich bin für Unmengen von neuem Wissen.

Nun liegt der Schulabschluss schon eine Woche zurück, und ich war unfassbar überrascht, dass ich als Klassenbeste ausgezeichnet wurde. Ich, als Ausländerin, und mit voller Arbeitsstelle (während eine ganze Reihe die Ausbildung in der Arbeitslosigkeit oder mit halber Stelle gemacht haben)! Ich bin wirklich stolz darauf!

Und sehr dankbar.

Ansonsten passierte in der Tat nicht viel. Das intensive Lernen neben der Arbeit hatte den positiven Effekt, dass mir all die Einschränkungen, die die dritte und heftige Covid-Welle ab Oktober mit sich brachte, gar nicht so richtig zu spüren bekam, denn ich sass ohnehin meistens daheim.

Weihnachten und Silvester habe ich mit meinen lieben Freunden verbracht, die nur ein paar Minuten von mir entfernt wohnen. Ansonsten hab ich die meiste Zeit im Bett verbracht, so erschöpft war ich nach dem ersten Semester. Wahrscheinlich war ich wegen der Erschöpfung auch relativ anfällig für Krankheitskeime – trotz Masken und Desinfektion bekam ich Ende März eine Lungenentzündung, die mich vier Wochen lang im Griff hielt, und kurz vor Schulabschluss nochmal eine heftige eitrige Mandelentzündung… Immerhin konnte ich so mein Schlafdefizit wieder ausgleichen… 

Die Arbeit im Kindergarten ist nach wie vor herausfordernd. Ich arbeite noch immer als Sonderpädagogin, fünf Stunden mit einem Kind und je eine bzw. anderthalb Stunden mit zwei weiteren Kindern. Teils direkt in der Gruppe, teils in Einzelförderung. Ich werde sehr unterstützt von meiner Vorgesetzten und der Kindergartenleiterin, und sie sind hoch zufrieden mit meiner Arbeit.

Es ist natürlich frustrierend, für einen sehr geringen Lohn arbeiten zu müssen, weil ich in Island nicht anerkannt bin mit meiner Ausbildung als Heilpädagogin (HP).

Deshalb habe ich mich nun im Herbst an der Universität Islands eingeschrieben, um den Bachelor als HP in Angriff zu nehmen. 150 von 180 nötigen Einheiten werden mir anerkannt dafür, sodass ich nur drei Fächer belegen muss. Ich hoffe, dass ich das in zwei Semestern schaffe – im Fernstudium, d.h. ich brauche nur wenige Präsenzveranstaltungen und kann alles andere digital und zeitversetzt nutzen, so wie es mir passt. Von meinen Vorgesetzten werde ich sehr dabei unterstützt. Für die volle Anerkennung müsste ich dann noch den Master drauf setzen. Aber eins nach dem anderen. Schon mit dem BA-Abschluss stehe ich sehr viel besser da und kann mich auch flexibler bewerben. Meine Stelle im Kindergarten wurde verlängert bis zum Frühjahr. Jetzt habe ich Urlaub und kann anschliessend unbezahlten Urlaub nehmen, um die Sommerzeit in Deutschland verbringen zu können. 

Der Tourismus in Island läuft sehr zögerlich an. Vor allem kommen Individual-Urlauber, für Reisen im Bus ist es eher noch zu früh. Ich bin froh, dass ich diese Zeit gut genutzt habe.

Nun bin ich in Deutschland angekommen und gewöhne mich zögerlich an die grosse Hitze (während in Island eisige Temperaturen und Schnee im Juni herrschen!!!). In den nächsten zweieinhalb Monaten werde ich vor allem sortieren, weggeben, verschenken. Ich hoffe, dass alles klappen wird mit dem Auflösen meiner Wohnung. Vor allem aber freue mich auf viele gute Begegnungen und hoffe auf eine schöne Zeit ❤

Kinder, wie die Zeit vergeht…

Sommergeschenke

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Es ist fast elf Uhr abends. Ich setze mich in mein Auto. Irgendwie scheint es nicht mehr zu passen. Der Sitz fühlt sich verstellt an, die Gänge an ungewohnter Stelle, und überhaupt, diese lächerlich kleinen Spiegel… Dabei ist es erst eine gute Woche her, dass ich mein Auto abgestellt und gegen den Sprinter-Bus eingetauscht habe. Umgekehrt war es ganz anders. Auf dem Weg zum Flughafen, um die zwölf Gäste abzuholen, die sich eine Rundreise um Island gönnen wollten, sass ich im Bus und hatte das Gefühl, dass alles genauso ist, wie es sein sollte. Einen ganzen Sommer lang. Diesmal aber würde es wohl bei dieser einen Fahrt bleiben. Immerhin, sie fand statt. Ende Juni / Anfang August. Und immerhin habe ich eine flexible Kita-Leiterin, die mir frei gibt für sowas. Immerhin diese eine Reise. Ein Geschenk in Zeiten wie diesen.

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Und es gibt auch noch mehr als dieses eine Geschenk: Eine Gruppe wie aus dem Bilderbuch. Lauter nette Menschen, freundlich, positiv, dankbar, offen, neugierig. Gleich am ersten Tag bombardieren sie mich mit Fragen und ich muss sie ständig enttäuschen mit meinem „Das erzähle ich euch noch in den nächsten Tagen“ und „Am letzten Tag dürft ihr mich alles fragen, was noch offen ist und ich beantworte es prompt!“ Es sind erstaunlicherweise kaum noch Fragen übrig. Aber es ist herrlich, wie interessiert die Leute sind.

Das Wetter ist auch so ein grosses Geschenk. Am Anfang Sonne satt. Und als dann im letzten Drittel der Reise tagelanger fürchterlicher Regen mit Wetterwarnungen angesagt ist, haben sich längst alle mit Regenhosen eingedeckt und letztlich wird es dann viel glimpflicher als befürchtet. Obwohl es auch spannend ist, viele, viele neue Wasserfälle zu sehen, die nur durch die flutartigen Regenfälle entstanden sind, ist es auch recht gefährlich, denn in den Ostfjorden ist mit Geröll-Lawinen und Steinschlag zu rechnen. An einigen Stellen sah man schon die ersten Spuren von heruntergerolltem Gestein und ich bin extrem wachsam und teilweise sehr angespannt an den entsprechenden Stellen vorbeigefahren: Drei Tage später gab es dort einen regelrechten Bergrutsch und man konnte nur stundenlang auf Hilfe warten, bis die Strasse wieder freigebaggert war… Gott sei Dank! Wir sind gut durchgekommen. Natürlich ist es ziemlich ermüdend, stundenlang beim Fahren in Nieselregen zu starren, zumal das die Strecken waren, auf denen nicht besonders viel Ersatzprogramm möglich und normalerweise die Landschaft schon Programm genug ist. Aber ein paar kleine Zusatzbonbons konnte ich noch aus dem Hut zaubern, ohne dass uns das mehr Geld gekostet hätte, und alle waren sehr zufrieden.

Zurück von der Fahrt bekam ich drei bezahlte freie Tage geschenkt. Denn meine Kindergarten-Leiterin wollte kein Risiko eingehen. Wegen der neuen COVID-Welle galten allerdings schärfere Regelungen im Land: Erstmals auch Maskenpflicht, wenn die wieder eingeführte Zwei-Meter-Abstandsregelung nicht einhaltbar ist (inzwischen nur noch 1 m); nur noch 100 Menschen dürfen sich treffen (inzwischen wieder 200). Ausserdem wurde ein doppelter COVID-Test bei Einreise ins Land eingefūhrt: einer sofort, der zweite nach 4-5 Tagen – bis dahin muss man isoliert bleiben (was quasi das Ende für den Tourismus in diesem Sommer war). So waren also alle Test-Kapazitäten ausgeschöpft, man konzentrierte sich auf den Flughafen sowie die Erkrankten und ihr Umfeld. Für mich war es schlicht nicht möglich, einen Test einfach so zu bekommen. Also bekam ich drei Tage vom Kindergarten frei. Damit waren seit der Einreise meiner Gruppe ganze zwei Wochen vergangen und die mögliche Gefahr gebannt. Ich habe diese Tage genutzt, um ein paar wirklich schöne Dinge zu erleben: Eine Fahrt durch den schönen Borgarfjörder, die Lava-Höhle Viðgelmir, ein Museumsbesuch, eine Fahrt in den Vulkankrater Þrírhnúkagígur. Die folgenden Bilder stammen von diesem Krater und sind unbearbeitet.

Ein wirklich grossartiges Geschenk am Ende dieses Sommers war das unerwartete Angebot einer kleinen Wohnung, in die ich vor vier Wochen umgezogen bin: Ein neues Zuhause, nur für mich allein. Es ist eine ausgebaute Garage, klein aber fein. Mit Küche und Bad. Und noch dazu günstiger als vorher; die bisherige Wohngelegenheit war einfach viel zu teuer auf Dauer für meinen sehr kleinen Lohn, den ich als quasi Ungelernte (da die Ausbildungen alle nicht anerkannt sind) bekomme. Das lohnt sich trotz der 20 Minuten Fahrt zur Arbeit, und es ist herrlich, nach fünf Jahren endlich mal wieder eine eigene Wohnung zu haben!

Im Kindergarten habe ich inzwischen mit der Betreuung und Förderung eines dreieinhalbjährigen Jungen begonnen. Es war anfangs ein grosser Kampf, mich zu akzeptieren, und inzwischen bin ich sehr froh, dass er morgens oft freudestrahlend angerannt kommt und mich „Kiki!“ rufend (wie ich im Kindergarten genannt werde) umarmt. Es ist eine herausfordernde Arbeit, aber wir können gut miteinander arbeiten und er vertraut mir inzwischen. Die Entwicklungspsychologin und die Leiterin achten beide sehr darauf, dass ich nicht ausbrenne und ich fühle mich gut betreut. Das ist ein Riesengeschenk.

Als ob mein Leben noch nicht spannend genug wäre, habe ich mir nun auch noch eine weitere Herausforderung gesucht: Seit 23.08. gehe ich wieder in die Schule, montag- bis mittwochabends direkt nach der Arbeit, sodass ich von 7:30 bis 21:30 ausser Haus bin. An den restlichen Tagen gibt es unglaublich viel Stoff zu lesen, nachzuarbeiten, zu übersetzen… Geologie, Naturkunde, Wirtschaftszweige, Geschichte, Literatur, Kunst und vieles mehr. Das Verstehen und das enge Zeitkorsett sind im Moment noch eine Riesenherausforderung für mich und ich weiss noch nicht, wie ich das schultern soll. Das erste Semester endet kurz vor Weihnachten; die erste Prüfung ist schon in in drei Wochen. Wenn alles gut geht, endet das Studium im Mai und dann darf ich mich hoch offiziell „Isländischer Guide“ nennen. Wie es dann weitergeht mit dem Tourismus, ist natürlich eine ganz andere Frage. Aber ich werde jedenfalls gut aufgestellt sein. Und der Rest findet sich.

Sommergeschenke

Voll die Krönung

IMG_0300Es ist Freitagmittag. Was für ein Fest. Endlich darf ich mich auf den Weg zur Fähre machen, um nach Hause, nach Island, zu reisen, ausgestattet mit einem Brief vom isländischen Aussenministerium und dem neuen Ticket für die Fähre am 25. April. Alles ist gepackt und erledigt. Ich warte noch auf einen Brief, der schon wochenlang unterwegs ist. Die Post kommt ungewöhnlich spät – oder sie war ohne den Brief schon da, denn der Briefkasten war leer. Eben habe ich meine Schlüssel bei meiner Nachbarin abgegeben, da spähe ich noch ein letztes Mal durch den Briefkastenschlitz. Tatsächlich, nun ist doch ein Brief gekommen. Ich hole die Schlüssel zurück. Es ist der lange erwartete, verspätete Osterbrief, für den ich die Hoffnung schon aufgegeben hatte. Neben einer sehr schönen Bastelei eines Osterkükens (in der Eile und mit Blick auf die Rückseite dachte ich erst, es sei ein gebasteltes Coronamonster!) hat meine jüngste Nichte eine Vorlage dazugepackt: Eine Krone, die ich mir selber basteln kann, wenn ich Lust dazu habe. Ich muss lächeln. Eine Krone in Corona-Zeiten. Das ist passend. In Island angekommen, bastele ich mir die Krone in meiner zweiwöchigen Quarantäne. Setze sie mir mit Stolz für das Foto auf, denn es ist wie eine trotzige: „Du kannst mich mal!“-Krönung gegenüber dem alles bestimmenden Virus, der unser Leben so sehr bestimmt, seit nunmehr über einem Vierteljahr.

Unfassbar, wie sich das Leben so grundlegend ändern konnte, quasi über Nacht. „Pläne sind dazu da, geändert zu werden.“ hat mal ein schlauer Mensch gesagt. Schon klar. Aber so radikal, ohne Boden unter den Füssen?! Was für eine Ausnahmesituation. Ich hatte den Eindruck dass an vielen Stellen Corona ein Auslöser dafür war, das Leben auf den Prüfstand zu stellen: Was zählt wirklich? Was trägt? Wer bin ich eigentlich? Für mich war es ziemlich schockierend zu sehen, wie schlecht ich manchmal damit umgehen konnte, wenn zu der Grundunsicherheit noch weitere Unsicherheiten hinzukamen. Denn ich dachte, ich sei trainiert darin, mit Unsicherheiten zu leben… Ich bin manchmal in regelrechte Panikzustände gekommen und hatte dabei das Gefühl, die Fähigkeit verloren zu haben, mich selbst zu beruhigen.

Um ehrlich zu sein, waren es aber teilweise auch ganz schöne Brocken, die mich da aus dem Gleichgewicht brachten. Ärger und Druck von der Wohnungsgesellschaft wegen einer angeblich ordnungswidrig geführten Garage, gleichzeitig die Kündigung eines meiner Untermieter und die Suche unter Zeitdruck wegen der (möglicherweise) herannahenden Abreise nach einer neuen Mitbewohnerin zum Beispiel. Und immer wieder das erneute Verschieben der Fähre… Hätte mir jemand gesagt, dass ich 2020 gar nicht mehr Island darf, hätte ich mich wahrscheinlich schnell beruhigt und innerhalb dieses Rahmens nach Lösungen gesucht. Aber das war einfach unerträglich.

IMG_9942Zugleich fehlten mir wirkliche Begegnungen zunehmend. Wo anderen die Decke auf den Kopf fiel, weil es mit der Familie zu eng wurde, war es bei mir das Gegenteil. Meine Untermieter waren bei ihren Partnerinnen untergeschlüpft in der Kontaktsperre-Zeit, ich war also allein in der Wohnung, was auch ganz schön war. Ich habe natürlich jeden Tag mit lieben Menschen telefoniert und das hat unendlich gut getan. Später habe ich mich auch mit einzelnen Freundinnen verabredet zu einem Spaziergang – mit Abstand. Aber so ganz ohne Körperkontakt, ohne Umarmung…! Dazu das Gefühl, mich von niemandem wirklich verabschieden zu können, wenn die Fähre denn gehen würde… Die Begegnungen am Telefon waren schön, aber eine Umarmung, das einander auch körperlich Nahesein, das ist erst wirklich nährend. Wie wenn man nicht das richtige isst und dann Nährstoffe fehlen und man das Gefühl hat, gar nicht satt geworden zu sein. Jedenfalls fühlte ich mich wie ausgehungert. Ich glaube tatsächlich, dass man wirklich krank werden kann, wenn man so ganz ohne Körperkontakt ist. Und dass Streicheln, Händchenhalten, Umarmen und was man sich noch alles vorstellen mag wirklich auch die Abwehrkräfte steigern kann. Mit Sicherheit gibt es dazu wissenschaftliche Untersuchungen. Auch wenn ich von der Richtigkeit der Massnahmen überzeugt war und bin und glaube, dass wir nur so verhindern konnten, dass wir eine ähnlich schlimme Situation wie in Italien und anderswo erleben mussten, ist es eine wichtige Frage, was diese Coronakrise wohl auf lange Sicht mit uns machen wird…

IMG_0599Allmählich kam ich mir nach intensiven Gesprächen selbst mehr auf die Spur. Das eigentliche Problem war, dass ich mir tatsächlich selbst nicht mehr so recht traute. In den letzten Jahren war es das „dem Herzen folgen“, was mich antrieb und meinen Weg finden liess. Die Logik und viele Freunde rieten mir immer wieder: Bleib in Deutschland, hier hast du dein ALG 1 sicher. Sag die Wohnung ab in Island, um Kosten zu sparen – hier hast du dein Zimmerchen. Es wird doch sowieso nichts mit Reisen in diesem Jahr… Ich hatte selbst eine Liste mit Argumenten, warum es sicherer sei, in Deutschland zu bleiben. Und doch sagte das Herz trotzig: Ich will aber nach Island! Ohne dabei stichhaltige Argumente auf den Tisch zu legen. Ich war ziemlich durch den Wind, wie man so schön sagt. Weil ich das Gefühl hatte, meinem eigenen Herzen, der inneren Stimme, nicht mehr trauen zu können. Bis meine liebe Freundin Dobrinka mich an etwas erinnerte, das ich eigentlich längst wusste: „Das Herz weiss mehr als das Hirn. Es sieht Dinge, die für die Augen nicht sichtbar sind. Du darfst ihm trauen.“ Das war wie eine Befreiung für mich.

Und nun war ich also tatsächlich auf dem Weg nach Island. Keine Stopps an den innerdeutschen Grenzen; die Dänen fragten nur, wohin ich wolle und wollten keinerlei Papiere sehen: Welcome! An der Fähre wurde Fieber gemessen, dann durften die 48 Passagiere bis Färöer (24 bis Island) an Bord. Alle bekamen wir eine Aussenkabine mit Fenster! Was für ein Luxus. Die meiste Zeit blieb ich in der Kabine, hatte alles dabei. Es war eine der ruhigsten Überfahrten, die ich je erlebt habe. Auf den Färöern durften wir nicht von Bord; meine Freundin kam zum Winken in letzter Sekunde vor dem viel früheren Ablegen an den Kai. Und wir mussten erneut zum Fiebermessen antreten. Die Geräte wurden an langen Stangen aus der verglasten Empfangstheke heraus benutzt…

In Island ging die Ausfahrt diesmal ganz schnell. Der eine Zollbeamte erkannte mich sogar wieder – es war meine neunte Fahrt mit der Norröna. „Du musst auf direktem Wege nach Hause. Du darfst nirgendwo einkehren, auch nicht aufs WC gehen. Nur Tanken an den Selbstzahler-Säulen ist erlaubt“. Puh! Immerhin waren die Strassen auf der ersten Hälfte der Strecke absolut leer. Eine unfassbare Stille in der Landschaft, kein Mensch weit und breit an dem schönen Wasserfall Goðafoss.

In meinem neuen Zuhause wurde ich am späten Abend herzlich willkommnet. Inzwischen fühle ich mich sehr wohl hier. Ich bin nicht mehr Untermieterin, sondern Mitbewohnerin, habe zwei kleine Zimmerchen, Küche und Wohnzimmer, Bad und Kammer haben wir gemeinsam. Der reinste Luxus! Die Quarantäne war recht einfach zu gestalten. Man durfte nicht einkaufen, nicht in öffentliche Gebäude, niemanden besuchen und nicht besucht werden. Aber mit dem 2-Meter-Abstand waren Spaziergänge, Wanderungen, Ausflüge im eigenen Auto erlaubt. Herrliche Freiheit im Vergleich zu vorher. Trotzdem habe ich es gefeiert, als ich endlich wieder alles durfte…


Ausflug während der Quarantäne zum Hochtemperaturgebiet Seltun/Krísuvík:


Inzwischen ist die Situation in Island an vielen Stellen sehr entspannt. Wir haben nur sehr wenige aktive Infektionsfälle. Die Abstandsregelung ist nur noch freiwillig, fast alles ist wieder geöffnet. Wie sehr ich es geniesse, liebe Menschen zu treffen und zu umarmen!!! Einiges ist noch immer eingeschränkt. Zum Beispiel gibt es kein Abendmahl in den Kirchen. Ab 15. Juni dürfen wieder 500 statt nur 200 Menschen zusammenkommen. Es wird dennoch keine Feierlichkeiten am 17. Juni geben, dem Nationalfeiertag; da ist die Stadt normalerweise verstopft mit Menschen…

Ab 15. Juni darf man auch wählen, ob man bei der Einreise in Quarantäne gehen oder einen selbst zu bezahlenden Test am Flughafen machen möchte. Wer genaueres wissen möchte, kann das gern hier auf deutsch nachlesen: https://www.covid.is/de/reisen-nach-island


Ausflug während der Quarantäne zum Skógarfoss im Süden:


Mit dem 15. Juni sind sowohl viele Hoffnungen als auch viele Ängste verbunden. Immer noch ist die Arbeitslosigkeit exorbitant hoch, denn die gesamte Reisebranche ist am Boden. Nun hofft man, dass die Touristen wieder ins Land kommen. Aber die Unsicherheiten sind einfach bisher so gross gewesen, dass dennoch viele abgesagt haben. Ob die Reisebranche wirklich schon bald in Gang kommen wird, ist mehr als fraglich. Ich habe mir deshalb eine Alternative gesucht und arbeite nun seit dem 1. Juni in einem Kindergarten. Mein eigener Kalender, der eigentlich randvoll mit Touren um Island war, ist bis auf eine einzige Reise Ende Juli geleert. Falls diese Reise zustandekommen wird, bekomme ich im Kindergarten eine Freistellung. Das wäre wirklich ein Fest, wenn ich diese Tour übernehmen könnte. Mal sehen.


Ausflug nach Akranes und ins Skorradalur:


Aber zugleich haben auch eine Menge Menschen Sorge und glauben, dass die Öffnung viel zu früh ist. Was, wenn die Reisenden den Virus wieder einschleppen und eine zweite Welle auslösen? Sollte nicht unsere Gesundheit wichtiger sein? Letzte Woche sind u.a. mehrere rumänische Männer via London nach Island eingereist, die statt in Quarantäne auf Einbruchstour gegangen sind. Gestern wurden drei erwischt, heute auch die übrigen. Zwei wurden bereits positiv auf Covid 19 getestet. Was zur Folge hatte, dass nun sechzehn (!) Polizisten in Quarantäne mussten! Natürlich müssen auch die Leute aus dem Flugzeug in Qarantäne, die in der Nähe besagter Männer sassen…


Ausflug in die Búrfellsgjá, die Schlucht, durch die der Vulkan Búfell vor ca. 8000 Jahren den Lavafluss schickte:


Alles nicht so einfach. Ein lieber Freund aus Portugal schrieb gestern: „Es ist immer noch besorgniserregend und zugleich ermüdend. Aber wir sollten irgendwann unter diesen Bedingungen zu leben lernen und unser Leben besser gestalten.“ Ich hoffe, dass uns das gelingen kann. Lebendig zu bleiben unter Corona-Bedingungen. Das wäre voll die Krönung, das zu schaffen.


Ausflug ins Græanadalur, ins Grüne Tal:

 

Voll die Krönung

Zwischen den Welten

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[Kurz vor Grenzschliessung noch ein traumhaftes Wochenende in Lissabon]
Das Frühjahr und der Herbst sind für mich in den letzten Jahren immer wieder die Zeiten gewesen, in denen ich zwischen meinen beiden Welten hin und her gewechselt bin. Immer wieder kostete mich das viel Energie, das eine Zuhause zu verlassen und im andern Zuhause anzukommen. Im letzten Jahr hat sich immer stärker der Wunsch entwickelt, irgendwo anzukommen, weil es mir wie Energieverschwendung vorkommt, jeweils mit Haut und Haaren in beiden Welten anzukommen, um dort zu leben. Zaghafte Ideen sind gewachsen. Noch nicht entscheidungsreif. Dass sich etwas ändern muss, schien mir klar. Mit zarter Vorfreude wartete ich auf das Kommende. Immer der Sehnsucht hinterher,  dem Herzen folgend.

Nun ist alles anders. Nicht nur bei mir. Nichts ist mehr wie es war, für uns alle. Jedes Kind hat schon mal vom Corona-Virus gehört, das die Welt seit Wochen auf den Kopf stellt. Keiner weiss auch nur ansatzweise, wie es weitergeht und wo wir stehen werden, wenn diese Krise überstanden ist. Ich bin nicht die Einzige, für die es existenziell ist und noch mehr werden wird. Wahrscheinlich bin ich sogar privilegiert, weil ich genügend Gelegenheiten hatte zu lernen, mit wenig auszukommen, am Limit zu leben, immer wieder geübt habe, mit Panikgefühlen umzugehen, Ängste und Fragen auszuhalten, auch wenn keine Antwort in Sicht ist. Weil ich auch gelernt habe, das Alleinsein auszuhalten, fernab von meinen Lieben, und mich auf Online-Kontakte zu konzentrieren. Eine Art von „flatten the curve“ – auch für das Ausmaß an Panik nannte es meine Schwester. Recht hat sie. Aber selbst für mich ist es dieser Tage nicht einfach.

IMG_9443Und so bin ich also diesmal ganz anders zwischen den Welten, fühle mich wie in einem Transit-Raum. In Deutschland habe ich meinen Winter-Job bei der Zeitarbeitsfirma schon Ende Februar beendet, weil ich Zeit zum Packen, Sortieren, Verabschieden brauchte. Ein Zurück gibt es wegen der geschlossenen Kindergärten nicht mehr. Gestern wäre meine Fähre in Island angekommen und heute wäre ich in mein neues Zuhause in Reykjavík eingezogen… In Island werden mehr und mehr Jobs abgesagt, in der Reisebranche mehr als verständlich. Aber auch sonst sieht es wirtschaftlich immer schwieriger aus. Beide Länder fahren ihre Sicherheitsmassnahmen regelmässig höher. Grenzen wurden dicht gemacht. In Island wartet auf alle Kommenden sowieso eine vierzehntägige Quarantäne. Die Fähre ist inzwischen zum zweiten Mal umgebucht. Es war seltsam zu lesen: „Sie werden am 18.04. abfahren und am 21.04. ankommen.“ Eine Prophetie? Schön wär´s. Mit jeder Umbuchung wird es leider auch teurer.

Inzwischen bekomme ich vom Auswärtigen Amt Deutschlands die dringende Warnung, nach Hause nach Deutschland zu kommen, da die Flugzeuge bald nicht mehr flögen. Und vom isländischen Außenministerium bekomme ich die gleichen Warnungen: Komm so schnell wie möglich heim nach Island, solange es noch geht… Zwischen den Welten sein ist nicht gerade beruhigend. In welcher der beiden Welten sollte ich sein? Wo lebt es sich leichter in einer Krise wie dieser? Wo wäre es einfacher, trotz allem einen Job zu bekommen? Wenn ich demnächst entscheiden muss, was wird die richtige Entscheidung sein? Ich habe die leise Ahnung, dass es gar kein Richtig und Falsch geben wird und ich mich bei jeder der beiden Entscheidungen irgendwann auch in Tränen aufgelöst wiederfinden werde… Ich bleibe trotzig, wankelmütig-zuversichtlich.

Was hilft mir in alledem?

IMG_9416Atmen. Ein und aus, im Hier und Jetzt. Ich frage mich dabei, ob meine Angst mir in irgendeiner Art weiterhilft. Meistens nicht. Meistens gibt es gar nichts, das ich tun kann, weil mir die Hände im Moment gebunden sind. Vielleicht ist die Angst auch eine freundliche Einladung, nach Alternativen zu suchen. Aber weil sich die Parameter ja oft buchstäblich über  Nacht ändern, bleiben die Spielräume oft nur auf den heutigen Tag beschränkt. Aber immerhin, es gibt sie, die Spielräume zum Gestalten. Wenn ich handlungsfähig bleibe, auch auf kleinstem Raum, bin ich kein Opfer der Umstände.

Für vieles was in weiterer Ferne liegt, oder auch für alles mögliche mache ich Listen:

  • Wie kann ich eine Fahrt von Berlin nach Hirtshals und von Seyðisfjörður nach Reykjavík gestalten, ohne irgendwo zu übernachten oder Essen kaufen zu dürfen?
  • Was kann ich alles in der Quarantäne in Island tun? Von Puzzeln über Sudoku und Basteleien braucht es da ja auch Material, wenn ich nicht nur mit Laptop und Handy unterwegs sein will…
  • Was kann ich nur aus dem, was ich noch zu Hause habe, alles kochen? Unfassbar, dass ich aus dem Stand ohne Neu-Einkäufe auf eine lange Liste komme! Da kann ich viel Geld sparen 🙂

IMG_9444Dankbarkeit ist auch wichtig. Mir bewusst machen, was ich alles habe, wie reich ich bin, auch wenn ich mich so eingeschränkt fühle. Jeden Tag aufschreiben, was ich erledigt habe, was ich schönes erlebt habe, wo ich meine Ängste besiegt habe, welche schönen Kontakte ich über Telefon, Handy und Internet hatte. Mir auch bewusst machen, was ich schon alles bewältigt habe in meinem Leben. Schon so oft dachte ich, es geht nicht mehr weiter. Und es gab immer neue Fenster und Türen, die sich aufgetan haben. Und nicht zuletzt mache ich mir auch das bewusst, was für Chancen und positive Aspekte, bei all dem was mir auch fehlt, in dem ganzen liegen. Spannend, das herauszufinden!

Zwischen den Welten. In der einen nicht mehr ganz, in der andern noch nicht. Ich bin gespannt, welche Türen sich öffnen werden, in welche Richtungen und wann. Bis dahin bleiben wir daheim und hoffentlich gesund! ❤

Zwischen den Welten

Winterstürme

IMG_8539Die Zeit vergeht. Ich bin schreibfaul geworden… Schon mehrere Entwürfe hatte ich geschrieben, alle verschleppt und verworfen. Jetzt soll es also doch was werden. Ich habe Zeit dafür, die Muße wird sich hoffentlich beim Schreiben noch steigern. Ich bin schon eine Weile in Deutschland, überwintere hier sozusagen. Wobei das mit dem Winter ja so eine Sache ist… Es ist, obwohl Mitte Januar, Frühling in Berlin, zwölf bis fünfzehn Grad bei schönstem Sonnenschein.

Zur gleichen Zeit in Island reicht jedoch ein Sturm dem nächsten die Hand, seit Wochen kehrt keine Ruhe ein und die nächsten Stürme sind schon in Sicht. Immer wieder sind im ganzen Land Straßen gesperrt, mancherorts muss man teilweise tagelang warten, um ans Ziel zu kommen. Umfassende Stromausfälle werden gemeldet, weil von Sturm und Schnee die Leitungen zerstört wurden. Windgeschwindigkeiten von knapp 200 km/h toben über das Land, Reisebusse werden von der Straße gefegt, in Reykjavik wurde sogar ein Stadtbus in den Stadtteich gedrückt – zum Glück zum Dienstende, als nur noch der Fahrer sich retten musste. Es gibt viele grenzwertige Situationen. Nicht nur leichtsinnige Touristen. Auch ein Reiseunternehmen ist in den Schlagzeilen, weil sie trotz des angekündigten aufziehenden schweren Sturms mit hoher Warnstufe (bei dem selbst in Reykjavik davor gewarnt wurde, Kinder allein auf die Straße zu lassen) mit etwa vierzig Leuten inklusive Kindern zu einer mehrstündigen Snow-Mobile-Tour über den Gletscher aufbrachen, die im Wetterchaos endete und es letztlich 200 Leute von den Rettungsmannschaften brauchte, um die Gruppe aus den katastrophalen Bedingungen zu retten… Ein Paar aus China fand man tot in der Nähe des berühmten Flugzeugwracks in Südisland. Warum sie die einstündige Wanderung im allerschlimmsten Schneesturm dorthin gewagt haben, ist nicht nachvollziehbar. In den Westfjorden gab es nächtliche Lawinenabgänge, die alle Boote im Hafen versenkt haben; ein vierzehnjähriges Mädchen konnte aus ihrem mit Schnee angefüllten Kinderzimmer glücklicherweise nach einer halben Stunde schon gerettet werden… Man kann all die Dinge im Internet verfolgen. Ich habe einige Links eingebaut, die zu deutschsprachigen Artikeln führen (wie immer einfach auf die markierten Begriffe klicken, um zu den Artikeln zu gelangen).

Das Wetter scheint komplett verrückt geworden zu sein. Schon im Dezember gab es einen extremen Sturm – insgesamt einhundert Pferde sind dabei gestorben, verhungert oder erstickt unter meterdickem Schnee. Es scheint sich gar nicht mehr zu beruhigen. Es ist zweifelsohne ein sehr extremer Winter. Auch das eine Folge des aus den Fugen geratenen Klimas, denke ich. Dennoch, mit Stürmen muss man immer rechnen im isländischen Winter. Das darf man bei der Planung eines Winterurlaubs mit all den schönen Traumbildern von Nordlichtern, gefrorenen Wasserfällen, zauberhaftem Licht nicht vergessen. Wetter in Island ist immer unberechenbar. Im Winter muss man auf alles gefasst sein. Man sollte das immer auf den Wetterseiten Islands verfolgen, um alle Warnungen mitzubekommen. Auch die Straßenbedingungen sollte man niemals aus dem Blick verlieren.

IMG_8535Für mich ist es schon sehr seltsam, das alles aus der Ferne zu beobachten, mitzufiebern, gedanklich mittendrin zu sein. Ich habe Zeit, die Nachrichten zu verfolgen. Seit knapp vier Wochen habe ich meinen eigenen „Wintersturm“, bin ich selbst ausgeschaltet, komme einfach nicht wieder auf die Beine und verbringe die meiste Zeit im Bett. Jetzt wird es ganz allmählich besser. Aber die Viren und/oder Bakterien waren sehr hartnäckig. Ich habe sie mir als „Geschenk“ aus dem Kindergarten mitgebracht, wo ich seit Anfang Dezember wieder einmal über die großartige Zeitarbeitsfirma Avanti Berlin arbeite. Es macht mir Freude, dort einzuspringen, wo es bitter gebraucht wird. Aber es macht leider keine Freude, dann jedesmal diese gesundheitlichen Kämpfe auszufechten. Es ist immer dasselbe, und so langsam muss ich wohl auch darüber mal nachdenken, ob ich das so möchte. Aber alles zu seiner Zeit. Erst einmal freue ich mich auf ein neues, spannendes Jahr, das auf mich wartet. Im März geht es dann wieder nordwärts.

Winterstürme

Sommer, Sonne, Reiselust

IMG_6040Ich sitze in einer kleinen Stadt im Südosten Islands. Gestern bin ich mit einer Gruppe gut 500 km gefahren – bis zur Gletscherlagune und ein Stück wieder zurück. Für sie ging es dann noch weitere knapp 300 km bis nach Reykjavík mit einem anderen Guide. Ich durfte hier in Kirkjubæjarklaustur übernachten und den Tag verbringen. Am Abend fahre ich dann die heutige Gruppe zurück, während der heutige Guide hierbleibt. Der Tag heute hatte einen wunderbaren Hauch von Urlaub, durch die Wiesen zu streifen, die herrliche Sonne und schöne Landschaft zu genießen und im Schwimmbad zu lümmeln. Die Gruppe wird nachher erst zwei Stunden später hier ankommen, es gab einen Unfall unterwegs, sodass die Straße blockiert war und sie nicht weiterfahren konnten. Es wird also weit nach ein Uhr nachts werden, bis ich alle abgeliefert habe an ihren Orten… Gegen zehn besichtigen wir noch einen Wasserfall. Es ist ja immer noch nicht wieder vollkommen dunkel in der Nacht.

War der letzte Sommer der schlechteste aller Zeiten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, ist es in diesem Jahr ganz anders. An so einen schönen Sommer können sich die meisten nicht erinnern. Schon im Juni hatten wir im Süden fast vier Wochen Sonne am Stück. Das war fast nicht zum Aushalten, denn man bekam tatsächlich ein schlechtes Gewissen deswegen. Schließlich lernt man hier in Island: Wenn es schön ist, musst du sofort raus! Nutze es! Wer weiß wann die Sonne mal wieder scheint. Und so gibt es tatsächlich in Reykjavik manchmal den Fall, dass an einem Laden ein Schild hängt: „Wegen Wetters geschlossen.“ Jeder Isländer hat dafür Verständnis. Aber vier Wochen am Stück Sonne? Man kann nicht immer rausgehen, man muss auch mal arbeiten und Haushaltskram erledigen oder einfach auch faul auf dem Sofa liegen dürfen… Manche Leute wurden regelrecht schlecht gelaunt und grantig deswegen…

Jedenfalls haben wir auch jetzt wieder herrlichstes Wetter, kaum Regen – was sich in der Natur schon bemerkbar macht. Eine regelrechte Hitzewelle ist das; letzte Woche gab es 26,9 Grad Celsius am Geysir! Nicht der absolute Rekord – der wurde 1939 mit 30 Grad Celsius gemessen. Aber da wir gleichzeitig kaum Wind haben, ist es teilweise richtig heiß. Bei solchen Wetterlagen kommen dann auch gerne mal Stürme zwischendurch, und ich wurde tatsächlich auf meiner Südfahrt neulich von einer gelben Sturmwarnung mit Windspitzen in Orkanstärke begleitet. Kein schönes Gefühl, wenn man die Verantwortung für einen Kleinbus voller Menschen hat. Es lief dann glimpflicher ab als befürchtet – Gott sei Dank! Ein kleiner Vorgeschmack auf den nahenden Herbst und Winter…

Die Touristen freut es natürlich, dass sie so gutes Wetter erwischen. Hin und wieder ist das Wetter natürlich auch richtig typisch isländisch und manchmal muss ich dann für völlig durchnässte Leute mit klatschnasser Jeans (!) den nächsten Laden ansteuern, damit sie sich eine Regenhose kaufen können. In Island muss man immer mit allem rechnen. Für die nächsten Tage sind im Norden, Osten und im Hochland Temperaturen bis zum Frostpunkt samt Schnee angekündigt!

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Mit Palli auf Tour ist es immer schön. Manchmal singe ich mit 🙂

Ein Glücksfall ist für mich immer, wenn ich nicht nur Tagesfahrten habe, sondern eine Gruppe auch eine ganze Woche lang begleiten darf. Das ist es eigentlich, warum ich diese Arbeit so liebe: Zeit zu haben, auf Fragen und Interessen einzugehen, in Kontakt zu kommen, miteinander zu lachen, Leute neugierig zu machen und zu begeistern, sie auch innerlich auf eine Reise mitzunehmen und Rückmeldung zu erleben. Das gelingt begrenzt auch bei Tagestouren („I love your comments!“), aber oft genug steigen Leute nur ein und aus und ich bemerke kaum eine Reaktion bei ihnen. Das ist schade und manchmal auch mühsam.

Ich hatte das Glück, diesen Sommer mehrere Gruppenfahrten zu haben. Im Juni eine deutsche Gruppe über „Berge und Meer“, eine fünftägige Reise mit Tagesausflügen von Reykjavik aus. Im Juli durfte ich sogar zweimal Gruppen länger begleiten. Eine ganze Woche lang war ich mit „Aufwind-Reisen“ unterwegs, ebenfalls von Reykjavik aus. Und dann hatte ich eine Fahrt nur als Guide mit extra Busfahrer, denn es war eine 41-köpfige Reisegruppe über „Aldi-Reisen“ (dahinter steckt ebenfalls „Berge und Meer“), mit denen es in den Norden und ganz in den Osten ging – eine etwas seltsame Reise von der Planung her, aber eine der zauberhaftesten Gruppen, die ich je hatte.

Auf einer der Touren ging es auch ins Hochland. Dazu haben wir einen extra Hochlandbus samt Fahrer gemietet, der uns sicher durch die tieferen Flüsse brachte. Er brachte noch eine Mitarbeiterin samt ihrer zehnjährigen Tochter als Gäste mit auf die Fahrt und wir erlebten den Tag dann gemeinsam. Eines der Ziele war eine wunderschöne Schlucht, die Stakkholtsgjá. Zuerst ist sie sehr weit, dann wird sie immer enger. Wir mussten zu Fuß einen kleinen Fluss überqueren, dann einen etwas größeren. Es gab Steine zum Balancieren, und ich wäre ohne weiteres drüber geklettert, aber mit der Gruppe hatte ich meine Bedenken (und einige waren nicht mehr die Allerjüngsten…), auch wenn ich zwei Stöcke dabei hatte. Während wir noch beratschlagten, ob und wie wir es wagen sollten, waren unsere Gäste schon drüben! Da gab es kein Halten mehr und ein Großteil hat das Abenteuer Flussdurchquerung gewagt.

Am Ende der Schlucht mussten wir klettern, aber es war atemberaubend. In eine höhlenartige Schlucht stürzte ein Wasserfall, umgeben von hellem Rhyolith-Gestein, teilweise mit feinem Moos bedeckt. Selbst ich war sprachlos. Glücklich über dieses Erlebnis war der Rückweg über den Fluss kein Problem mehr.

Auf dem Rückweg stellte sich dann heraus, dass unser Gast bei der Busfirma für die Guides zuständig ist. Sie sprach auch hervorragend deutsch und hat also mitbekommen, wie ich meinen Job gestalte, war hell begeistert von mir und meiner Art und will mich unbedingt als Guide für ihre Firma haben. Nicht festangestellt, sondern freiberuflich. Und natürlich konnte sie mir auch noch nichts versprechen. Aber da ich aus verschiedenen Gründen die Arbeit bei bei meiner jetzigen Firma nach Ende des Sommerjobs nicht weiterführen wollte und werde, war ich ebenfalls hell begeistert und bin nun gespannt, was kommt ab September. Wieder mal ist alles offen, wie es weitergeht (inklusive der ganz großen Fragen. Immer dasselbe im August…). Aber ich bin zuversichtlich – zwei Wochenreisen habe ich schon und auch alles weitere wird sich fügen zur rechten Zeit. Hoffentlich.

Was für ein Sommer… Fast schon wieder vorbei, denn die Kälte hat sich nun schon angemeldet. Im Norden und im Hochland ist letzte Nacht Schnee gefallen. Der Winter kommt manchmal schneller als gedacht. Also will jeder Sommersonnentag genossen werden.

Nachtrag: Ich bin gut gelandet nach meiner nächtlichen Reise. Die Sonne ging rascher als gedacht unter – am Seljalandsfoss gab es nur noch das letzte Blinzeln des Sonnenuntergangs. Und es wird tatsächlich schon wieder richtig dunkel…

Sommer, Sonne, Reiselust

Arbeitsalltag

IMG_5778Seit Ende Mai arbeite ich nun als so genannter Driver-Guide. Ich fahre meistens in einem Mercedes Sprinter mit bis zu zwanzig Personen, manchmal ist es auch ein Ford Transit, wenn ich weniger Leute dabei habe. Und während des Fahrens erzähle ich den Leuten, was sie sehen, Geschichte und Geschichten rund um Island. Oft begleite ich sie auch zumindest teilweise bei den Stopps, um ihnen noch weitere Dinge zu zeigen oder eine Wanderung mit ihnen zu machen. Je länger die Fahrten, desto weniger allerdings tue ich das, denn so schön es ist, es kostet eben auch Kraft und Aufmerksamkeit, die mir vielleicht auf der langen Heimfahrt dann fehlen könnte. So ist dann manchmal weniger mehr und ein Nickerchen angebrachter.

IMG_5323Bis auf einige Ausnahmen arbeite ich den Sommer über in einem festen Job bei einer Firma. In der Regel sind es Tagestouren, manchmal nur ein Transfer, manchmal sehr intensive Touren. Die Leute buchen die Reisen direkt über das Internet, teils als Einzelreisende, als Familien oder Kleingruppen. Morgens drucke ich mir in der Firma die Unterlagen für den Tag aus: Tourplan und Zeitabläufe, die Liste der Gäste und ihre Abholorte. Dann mache ich mir einen möglichst sinnvollen und zeitsparenden Plan für die Strecke, in der ich die Leute aufsammele. Das können bis zu sieben verschiedene Orte sein, was dann auch bis zu 40 Minuten dauern kann. Reykjavik hat eine Bus-Verbotszone in der Innenstadt, was alles sehr kompliziert macht. Zusätzlich wird gerade an enorm vielen Straßen gebaut, sodass man immer wieder mal umkehren muss, weil man in eine plötzliche Sackgasse geraten ist. Meine Ortskenntnis ist jedenfalls innerhalb kürzester Zeit sprunghaft angestiegen…

IMG_5587Ist die Pick-Up-Tour geplant, hole ich die Autoschlüssel und suche das Fahrzeug – wir haben einen großen Fuhrpark… Nach einem Check der Lampen und des Mikrofons richte ich mich ein: Handyhalterung, Kaffee, Wasser, Fahrer-Karte in das Lesegerät usw. und dann geht es los. An vielen Stopps stehen jede Menge Leute und ich muss „meine“ finden. Es ist für die Wartenden schwer zu verstehen, dass ich nur eines von vielen Fahrzeugen unserer Firma bin und sie auf ein anderes warten sollen. Auch dass der Pick-Up so viel Zeit einnimmt und sie oft eine halbe Stunde warten müssen, ist für viele schwer nachvollziehbar. Manchmal geht auch etwas schief, dann muss die Servicenummer die Gäste ausfindig machen. Neulich hatte eine Familie die wirklich nicht leicht zu lesenden Unterlagen völlig missverstanden und war dann mehr als sauer; der Familienvater redete den ganzen Tag kein einziges Wort mit mir… Auch das gibt es. Aber die meisten sind voller Vorfreude auf den Tag.

IMG_5692Am letzten Pick-Up-Punkt stelle ich mich und den Tour-Ablauf vor, kläre Fragen für den Tag, teile die Unterschriftenlisten für die Formulare mit den möglichen Risiken aus und dann geht es los. Die Touren, die ich bis jetzt mache, sind vor allem drei mit Variationen: Golden Circle (mit Schnorcheln, Snow-Mobiling auf dem Gletscher oder eine „Plus“-Variante mit mehreren Extras), in den Süden (Transfer zu Gletschertour/Eishöhle oder eine Südküsten-Sightseeing-Tour) und in den Westen auf die Halbinsel Snæfellsnes. Bei der Südtour gibt es oft Wartezeiten von bis zu vier Stunden; manchmal gehe ich ins Schwimmbad, manchmal lese ich dann. Insgesamt bin ich zwischen zehn und dreizehn Stunden unterwegs und falle danach oft nur noch ins Bett. Die West-Tour ist die anstrengendste – sechseinhalb Stunden reine Fahrzeit und knapp fünfhundert Kilometer Strecke. Bei schönem Wetter ein Traum, bei Nebel ein Albtraum, der sich nur mit viel Kaffee, Möhrenknabbern und zuckerfreien Energy-Drinks überstehen lässt, zumal man dann auch einfach viel mehr erzählen muss, weil die Leute sonst schnell gelangweilt sind. Nach der Rückkehr werden die Leute natürlich wieder über die Stadt verteilt und das Auto getankt. Zum Glück wird das Fahrzeug dann gemäß meines Reportes von der Werkstatt gewartet und auch gereinigt.

IMG_5859Das gleichzeitige Fahren und Sprechen ging von Anfang an leichter als ich dachte. Zum Glück bin ich ja keine Anfängerin und habe also die Fakten zumeist alle schon im Kopf. Hin und wieder muss ich dann aber doch nochmal Zahlen und Inhalte büffeln, wenn es eine neue Tour ist. Und dann natürlich auch die entsprechenden Vokabeln. Die Gäste im Bus sind durchweg international und alles läuft auf Englisch ab. Manchmal habe ich Gäste, die auch kein Englisch verstehen, dann muss ich die Abfahrtszeiten auf eine Magnettafel schreiben. Mein Englisch war bei der allerersten Tour noch etwas holperig, aber schon am zweiten Tag war das meiste wieder da. Inzwischen bin ich wieder flüssig und lese momentan ein Fachbuch über die Geologie Islands auf Englisch, das ist ziemlich cool. Das Reinhören in die unterschiedlichen Akzente (innerhalb Amerikas, von Australiern, Neuseeländern und vor allem von Leuten aus nichtenglischsprachigen Ländern…) ist allerdings eine größere Herausforderung, an der ich manchmal noch zu knacken habe.

IMG_5829Gelernt habe ich schon jede Menge, nicht nur im Englischen. Vor allem, welche diversen Macken die Fahrzeuge haben können, wie man ein Mikrofon oder die Heizung & Klimaanlage doch noch zum Laufen bringt und so weiter. Insgesamt muss ich bei den Tagestouren viel mehr aufpassen, um mit dem Herzen dabei zu bleiben, denn es sind ja immer wieder dieselben Inhalte. Und natürlich hat man manchmal gar keinen Kontakt zu den Leuten. Manche Gruppen sind kommunikativer, andere total verschlossen. Manchmal reagiert keiner auf meine Witze, manchmal lachen sie alle herzlich miteinander. Da ist es manchmal gar nicht so einfach, fröhlich und begeistert zu bleiben. Insgesamt jedenfalls eine interessante Erfahrung und großes Lernfeld.

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Der Gletscher Sólheimarjökull hat immer noch schwarze Asche vom Ausbruch des Eyjafjallajökull 2010 auf dem Eis.

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