Verliebt, verlobt…

Wie voll kann ein Jahr werden? Ich staune jedesmal aufs Neue, was da alles rein passt! Jedenfalls hatte ich von vielem, was in diesem vergangenen Jahr kommen würde, am Neujahrstag 2023 noch gar keine Ahnung. Es war eine herausfordernde und zugleich wunderbare Zeit.

Unser Haus in Borgarnes

Im Januar konnten wir unser neues Haus übernehmen. Der Schock war zunächst gross. Es war noch alles voller Gerümpel, Möbel und Unmengen von Lego, das die bisherigen Besitzer krankheitsbedingt nicht eingepackt und mitgenommen hatten. So haben wir einen ganzen Tag dafür verwendet, um alles aus dem Haus zu schaffen, in unseren Hänger zu laden und zu ihnen nach Reykjavík zu bringen. Auch draussen unter dem Schnee kam nach und nach jede Menge zum Vorschein, als es taute – allein fünf Roller und viele andere wertvolle Dinge – zusammen mit jeder Menge Müll.


Auch im Haus war viel zu tun – nicht nur Schönheitsreparaturen, sondern es fehlten innen auch alle Fensterverkleidungen und Leisten. Die Wände waren schwarz gestrichen, eine fehlende Treppenstufe gab einen direkten Zugang zum Keller… Wir haben jedes Wochenende die Stunde Fahrtzeit in Kauf genommen, um alles bewohnbar zu machen, und so nach und nach offenbarte das Haus jede Menge Charme.

Eigentlich wollten wir das Haus als AirBnb an Touristen vermieten, aber zuerst sollte ein Teil unserer Familie aus Deutschland dort einen schönen Urlaub machen können. Kurz bevor sie Anfang April kamen, waren wir dann auch fertig mit all den vielen kleinen und grossen Arbeiten, jedenfalls zufrieden für den Moment, denn so ein Haus ist ja eigentlich nie fertig. Aber die Mäuse waren (vorerst) vertrieben, die Überschwemmungen im Keller dank Pumpe (ebenfalls vorerst) im Griff, und auch sonst war alles freundlich und hell eingerichtet.

Umzug

Nachdem die Familie wieder abgereist war, ging es an die letzten Feinarbeiten, Fotos für die Werbung und so weiter. Aber auf einmal wurde im Mai plötzlich die Einfahrt zum Grundstück gesperrt und die Strasse einen Kilometer lang aufgerissen. Erst zwei Tage vor Weihnachten wurde sie (vorläufig, weil noch nicht asphaltiert!) wieder für den Durchgang und Verkehr geöffnet. Wir konnten unsere Gäste ja schlecht durch den angrenzenden Park mitsamt ihrem Gepäck schicken – also lag das Projekt erst einmal auf Eis. Und auf einmal merkten wir, wie sehr wir uns inzwischen in das Haus verliebt hatten und beschlossen so im August, dass wir stattdessen selbst einziehen würden.

Natürlich standen nun noch einmal jede Menge Veränderungen an, vor allem Stauraum und Möbel mussten her. Im Oktober haben wir dann alle Sachen aus unserer kleinen Wohnung im Hauptstadtgebiet geholt und viele Male Kisten und Möbel mit Schubkarre durch den besagten Park in unser Haus gebracht. Seither leben wir hier in Borgarnes, einem kleinen beschaulichen Ort. Unser Haus ist ein bisschen zurückgesetzt von der Strasse, dadurch haben wir es ruhig und können in unserem Hotpot auf der Terasse ganz ungestört baden. Wir geniessen es sehr, hier leben zu dürfen.

Verliebt – verlobt – verheiratet

Als wir Anfang des Jahres das Haus unser eigen nennen konnten, beschlossen wir uns ganz offiziell im Online-Register als in „sambúð“ lebend einzutragen. Damit bescheinigt man nicht nur dass man zusammen in einer „Bude“ lebt, sondern man hat auch eine ganze Reihe Rechte und hat quasi einen offiziellen Status, der eine eingetragene Lebenspartnerschaft ist. Es ist eigentlich ein ganz schnödes Eintragen im Internet, aber wir wollten es ein bisschen feierlich gestalten. Am Ende ist das ganze dann etwas aus dem Ruder gelaufen und am Ende des Abends haben wir uns verlobt – die Ringe haben wir dann gemeinsam eine Woche später gekauft.

Als wir miteinander darüber nachdachten, wann wir eine Hochzeit ins Auge fassen wollten, war uns beiden schnell klar, dass wir auf jeden Fall unsere Eltern dabei haben wollten. Alle drei sind schon teilweise weit über achtzig. Und meine Mutter, die nicht gerne reist, hatte sich für Ostern zusammen mit meiner Schwester und ihrer Familie bei uns angemeldet. Kurzerhand nutzten wir die Gelegenheit und haben in den sechs Wochen bis Ostern alle Hebel in Bewegung gesetzt, um alle möglichen Dokumente und Kleider zusammenzubekommen, eine Kirche und eine Pfarrerin zu finden, die Musik zu organisieren, eine Online-Direktübertragung auf die Beine zu stellen, unsere Freunde einzuspannen für herrliche Musikbeiträge, die Festgestaltung und Übersetzung, und mitten in der Konfirmationszeit einen freien Raum für den Nachmittag zum Feiern zu haben.

Es wurde ein wunderschöner Ostermontag, unvergesslich, mit überraschender Sonne und hätte auch nach einem Jahr Vorbereitung nicht schöner werden können. Nur eine ganze Menge Freunde und Familie fehlten schmerzhaft… Die Pfarrerin hatte uns getrennt voneinander aufschreiben lassen, wie wir uns kennengelernt haben und warum wir einander heiraten wollen – das wurde ein grosser Teil der Ansprache und rührte uns beide zu Tränen. Wir sind unendlich dankbar für diesen Tag, für alle die ihn so wunderbar haben glänzen lassen, all die Überraschungen meiner Familie, und vor allem dass wir einander gefunden haben und uns so bereichern. Das ist Glück.

Reisen

Der Sommer war natürlich wieder angefüllt mit Reisen für mich. Zehnmal bin ich rund um Island gefahren, dabei sind vier Reisen sogar ausgefallen, wohl wegen der hohen Inflation und der weltweit angespannten Lage, aber es war auch so mehr als genug Arbeit. Die Reisen waren vielfältig, einige neue Gegenden waren dabei, das ist immer ein Highlight. Zwischen fünf, sechs, acht, zehn oder zwölf Tagen (Berge und Meer, SKR und Taruk) war ich fast immer als Driver-Guide mit Headset und maximal 16 Leuten im Sprinter unterwegs und hatte ganz fantastische Menschen in meinen Gruppen. Es hat mir wie immer viel Freude gemacht und ich habe viele Erfahrungen gesammelt. Allerdings machte mir zunehmend meine Gesundheit Sorgen, ich hatte seit Jahresbeginn leichte Probleme mit meinen Knien.

Daraus wurden so schlimmen Schmerzen, dass ich einmal im August kaum noch laufen oder die Treppe steigen konnte. Was ich auch versuchte, ich fand einfach nicht heraus, warum es mal besser und mal schlechter war, bis mir einer meiner Gäste in der allerletzten Fahrt den Tipp gab, mal auf Histamin in der Nahrung zu schauen. Und siehe da, die „Histaminbomben“ weglassend, liessen auch die Schmerzen nach! Was für ein Segen, endlich eine Stellschraube zu haben. Inzwischen komme ich ganz gut klar, habe alles mögliche gelernt, vertrage nach einer sehr strengen Diätphase auch wieder deutlich mehr und bin nahezu schmerzfrei. Hurra!

Und schon wieder Uni

Ende August ging für mich dann die Uni wieder los. Ich habe jetzt noch ein Jahr zu absolvieren, damit ich dann mit dem Zusatzdiplom (das ist der halbe Master) endlich die Anerkennung als Heilpädagogin beantragen kann. Das ist nicht nur finanziell wichtig, sondern auch um endlich die Diskriminierung zu beenden, die schon viele Jahre – seit meiner Ausbildung in der damaligen DDR – mit mir geht. Ich bin froh, dass das dann endlich zur Ruhe kommen darf. Das Studium ist anstrengend, zeitraubend vor allem. Jeder Menge Lesestoff, jede Menge Hausarbeiten und Gruppenprojekte.

Das 1. Semester habe ich gut hinter mich gebracht, aber ich war auch ziemlich müde und krank im Dezember nach Semesterschluss. Es ist ja nicht nur das Studium selbst, sondern auch die Arbeit im Kindergarten, 60 % im Herbst, 80 % jetzt im Januar und Februar (danach muss ich in´s Praktikum). Ich bin noch immer im selben Kindergarten wie vorher, weil es einfach ein Traumarbeitsplatz ist. Mein Mann und ich fahren beide am Morgen sehr früh los, ich lade ihn in seiner Firma ab und fahre dann weiter in den Kindergarten, wo ich ein Kind mit 100% Förderbedarf begleite und unterstütze. Am Spätnachmittag geht es dann die einstündige Fahrt zurück nach Hause, meistens wieder gemeinsam, ausser er hat eine Nordlicht-Tour mit den Quads am Abend.

Was wohl auf uns wartet im neuen Jahr?

Jetzt hat das zweite Semester schon begonnen. Im März/April muss ich ein unbezahltes Praktikum machen und werde in Akranes (etwa die Hälfte der Strecke nach Reykjavík) in einer interessanten Schule arbeiten. Das wird meine erste direkte Begegnung mit dem isländischen Schulsystem. In Island ist es gesetzliche Pflicht, dass alle Kinder in der Heimatschule lernen dürfen und nicht in eine Sonder-/Spezialschule müssen. Das bringt natürlich viele Herausforderungen und klappt oft nur sehr schlecht. Die Schule dort hat ein super Konzept erarbeitet und ich bin froh, dass ich einen Einblick in ein funktionierendes System bekommen darf.

Anfang Mai geht das Semester dann mit einigen Hausarbeiten zu Ende und wir freuen uns auf ein Familientreffen in Deutschland samt mehreren Geburtstagsfeiern, und danach geht für mich die Reisesaison auch schon wieder los. Am 15. Juni ist offizielle Uni-Abschlussfeier, und darauf freue ich mich schon riesig!!!

Was das Jahr sonst noch bringen wird, ist noch ungewiss. Hoffentlich wird sich manches, das uns jetzt noch Kopfzerbrechen bereitet, zum Guten wenden.

Vulkanausbrüche

Auch in den deutschen Nachrichten konnte man mitverfolgen, dass in den letzten Monaten auf der Halbinsel Reykjanes im äußersten Südwesten von Island viel vulkanische Aktivität im Gange war. Gut siebenhundert Jahre lang war es ruhig auf der Halbinsel, an dessen nordwestlichem Ende der internationale Flughafen Keflavík ist.

Kaum jemand hat wirklich damit gerechnet, dass hier wieder Vulkanausbrüche sein würden, obwohl es dort aktive Hochtemperaturgebiete gibt, die immer im Zusammenhang mit aktiven Vulkangebieten auftreten und mit deren heißem Wasser Energie produziert wird und die Häuser beheizt werden. Nun sagen die Wissenschaftler, dass nach den siebenhundert Jahren Ruhe dreihundert Jahre Aktivität folgen werden. Das heisst natürlich nicht, dass ununterbrochen ein Vulkan ausbricht. Momentan ist es aber tatsächlich etwa einmal im Monat. In den letzten drei Jahren gab es nun schon sechs Ausbrüche im selben Gebiet. Das Foto stammt vom letzten Ausbruch und ist von unserem Wohnort aufgenommen worden. Die ersten drei Ausbrüche haben wir „Touristenausbrüche“ genannt, etwas das man bestaunen, womöglich nach einer beschwerlichen Wanderung besichtigen kann und wo keine direkte Gefahr für bewohnte Gebiete besteht. Die Ausbrüche selbst sind jedes Mal kürzer geworden: War der erste etwa ein halbes Jahr aktiv, so war es letzten Sommer nur eine Woche, im Dezember und Januar drei Tage und nun im Februar nur einen Tag. Zugleich waren die letzten drei Ausbrüche von anderer Qualität, weil sie einen Teil Dorfes Grindavík zerstörten und die gesamte Infrastruktur angegriffen wurde. Der Ort wurde schon im November evakuiert bei grossen Erdbeben, die wir auch hier, 80 km Luftlinie entfernt, deutlich spürten; inzwischen ist er unbewohnbar, weil unter dem Ort ein instabiles Spaltensystem entstanden ist, das immer wieder einstürzt.

Die Bilder von zerstörten Strassen, einem Mann der bei Bauarbeiten in einer Spalte verschwand und grossräumigem Ausfall von Heisswasserversorgung (während grosse Kälte herrschte) und Stromausfällen gehen um die Welt und die Leute differenzieren nicht dass es sich nur um einen sehr kleinen, lokalen Bereich von Island handelt, zumal die Blaue Lagune – gleich nebenan – überall beliebt ist. Viele denken, ganz Island ist zu einem gefährlichen und lebensfeindlichen Ort geworden und man sei quasi nirgends sicher. Das macht sich sofort bemerkbar in den Zahlen der Touristen, die gebuchte Touren wieder absagen. Mein Mann hatte in diesem Winter so wenige Touren wie nie zuvor mit seinen Quads. Und ich bin zwar gut gebucht für den Sommer, rechne aber damit, dass es jede Menge Ausfälle gibt, zumal Island auch noch teurer geworden ist als je zuvor. Ich bin froh, dass ich jederzeit in meinem Kindergarten willkommen bin und arbeiten kann. Ansonsten lassen wir uns einfach überraschen was kommt.

Weil immer wieder viele fragen: Wir sind gut 80 Kilometer Luftlinie entfernt und in Sicherheit. Das Ganze ist sehr lokal begrenzt, der Rest von Island ist sicher und man kann hier immer noch prima leben und Urlaub machen. Also: Herzlich willkommen!

Verliebt, verlobt…

Das war 2022. Ein verspäteter Jahresrückblick.

Wieder ist ein Jahr vergangen, ohne dass auch nur ein einziger Blogeintrag hier gelandet wäre, und das neue Jahr ist auch schon längst nicht mehr ganz neu… Es scheint sich allmählich als Tradition zu entwickeln dass es nur einen Jahresrückblick gibt. Aber immerhin… Also – los geht´s mit einem kleinen Einblick in das, was 2022 bei mir los war. Bei den Bildern wie gehabt: Anklicken zum Vergrössern 😉

Januar

Für mich beginnt das zweite Semester des Bachelor Heilpädagogik an der Universität Islands. Kein Unterricht mehr, dafür die Abschlussarbeit. Ich schreibe über das TEACCH–Programm, das ich in den letzten Jahren im Kindergarten in meiner Arbeit mit autistischen Kindern nutzen durfte. TEACCH ist die Abkürzung für „Treatment and Education of Autistic and related Communication handicapped Children“, was man mit „Behandlung und pädagogische Förderung autistischer und in ähnlicher Weise kommunikationsbehinderter Kinder“ übersetzen kann. Ich schreibe über dieses pädagogische Konzept und wie es ein Gewinn für alle Kinder im Kindergarten werden kann. Es macht mir viel Freude, mich da einzugraben, auch wenn es natürlich eine Herausforderung ist, alles auf isländisch zu verfassen.

Und dann die grosse Überraschung, mit der ich überhaupt nicht gerechnet habe. Schon Ende 2021 lerne ich einen wundervollen Menschen kennen, nicht ahnend dass das die ganz große Liebe werden könnte. Wir unternehmen viele schöne Dinge, werden mit jedem Tag mehr neugierig aufeinander, ungläubig staunend, dass wir uns tatsächlich getroffen haben, und die Liebe wächst vorsichtig, aber stetig heran.

Februar

Ich komme gut mit der Abschlussarbeit voran. Meine Dozentin überarbeitet schon gleich jedes entstandene Kapitel und bringt mich auf neue Spuren, was sehr arbeitsintensiv, aber extrem hilfreich ist.

Björgvin und ich unternehmen tolle Sachen, unter anderem fahren wir in den Borgarfjörður, auf die Halbinsel Reykjanes, mit Freunden in eine neu entdeckte Eishöhle, sind mehrere Stunden auf dem Gletscher unterwegs, bei allerbestem Wetter.

Ab und an gibt es eine Tour, die ich als Guide übernehmen kann: Einen Tagesausflug im Borgarfjörður und Reykjanes, eine Stadtführung. Es ist gut, nicht ganz einzurosten…

Und dann ist plötzlich alles ganz anders. Am selben Tag, als in Island sämtliche Beschränkungen, PCR-Tests usw. abgeschafft werden, bekomme ich Covid. Mein Partner drei Tage später. Er zieht bei mir ein und bleibt auch danach in meiner winzigen Wohnung, auch 2023 noch wohnen wir hier. Vielleicht passt es so gut, weil 11,5 seine Lieblingszahl ist und jeder von uns soviel Platz zur Verfügung hat 🙂

Für uns aber bleibt die Zeit stehen. Covid erwischt uns mit voller Härte. Neben Lungenproblemen sind wir extrem kraftlos, haben Hör- und Sehstörungen, ich kann weder fernsehen noch am Laptop arbeiten (was beim Schreiben einer Abschlussarbeit nicht besonders hilfreich ist…) und muss sogar einmal in die Notaufnahme. Vier Wochen dauert es, bis wir halbwegs wieder in der Lage sind, den Alltag zu bewältigen, und auch dann bleibt es ein Auf und Ab mit der Tagesform.

März

Die Abschlussarbeit geht wegen meiner Covid-Nachwirkungen extrem langsam voran. Ich bin kurz davor aufzugeben, aber meine Dozentin macht mir Mut und verlängert Fristen – ich beschließe es zumindest zu versuchen.

Covid hat uns noch lange im Griff, bis heute (2023) sind wir beide nicht völlig in Ordnung. Geruchsverirrungen (Rauch oder Grillduft in der Wohnung) sind da noch das Geringste. Immer wieder Kraftlosigkeit und Müdigkeit, extreme Infektanfälligkeit, Vergesslichkeit, Aufmerksamkeitsstörungen und Merkschwierigkeiten – die typische Covidwolke… Ich habe es gänzlich aufgegeben, auf Englisch zu guiden, das geht kaum und ich vermische alles mit dem Isländischen. Ich habe extreme Aufmerksamkeitsdefizite, zwei oder mehr Dinge auf einmal überfordern mich. Klar passiert es den meisten von uns mal, dass man in die Küche geht und vergessen hat was man wollte; ich gehe in die Küche und weiss gar nicht DASS ich etwas wollte, sehe etwas und fange an das zu erledigen, bis ich 2 Stunden später feststelle, dass ich die eigentliche Aufgabe versäumt habe. Das wird tatsächlich erst im Sommer etwas besser…

April

Mein Partner hilft mir extrem bei der sprachlichen Überarbeitung meiner Abschlussarbeit und ist zum Glück richtig gut darin! Die Erstabgabe der Arbeit schaffe ich nur ein paar Tage nach dem offiziellen Datum.

Dann packen wir unsere Koffer und fliegen für zehn Tage nach Deutschland, um Freunde und Familie zu besuchen und kennenzulernen. Es wird eine intensive, aber schöne Zeit.  Zurück in Island geht es an die Endüberarbeitung der Abschlussarbeit.

Mai

Fünf Tage vor dem offiziellen Termin gebe ich die Arbeit endgültig ab, wir feiern das natürlich gebührend. Und dann geht für mich die Reisesaison los. Eine Woche Rundreise und eine Woche Tagestouren von Reykjavik aus, mit 36 Leuten und grossem Bus samt Busfahrer. Ein entspannter Einstieg nach der langen Pause, denn ich kann meine Unterlagen auf der Fahrt in Ruhe nutzen, was als Driver-Guide ja leider nicht gehr, weil man da die Augen auf der Straße und die Hände am Lenkrad braucht. Ich bin froh dass ich wieder als Guide arbeiten kann.

Im Mai kommt auch Mattis zu uns, ein Freund aus Berlin, der ein Schul-Praktikum auf einem isländischen Bauernhof macht, dort aber total ausgenutzt wird und sich nicht wohl fühlt. Er wohnt in Björgvins Wohnung, die wir für den Verkauf langsam leeren, und kann in der Firma meines Partners atvreykjavik.is mitarbeiten, wo Quad-Touren in der Umgebung von Reykjavik angeboten werden. Wir unternehmen ein paar schöne Sachen gemeinsam, Mattis ist eine grosse Hilfe bei mehreren Projekten, sodass es letztlich ein Gewinn für alle Beteiligten wird.

Juni/Juli/August

Eine letzte Woche im Kindergarten, dann geht es los mit einer Rundreise um Island herum nach der andern. Als Driver–Guide, mit maximal 16 Personen, Hänger, Headset. Die erste Reise ist unfassbar anstrengend, weil es mich so viel Kraft kostet, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Aber mein Hirn ist mir wohl gesonnen und passt sich an. Nach drei Tagen wird es langsam besser.

Eigentlich war der Plan ein gemischtes Programm als Guide (also mit grösserem Bus, grösseren Gruppen, nur als Guide mit Busfahrer) und als Driver-Guide, Tagestouren und Rundreisen, aber ich bekam einen Anruf nach dem andern: Wir brauchen dich als Driver-Guide, kannst du bitte wechseln und statt der Tagestouren die Ringreise übernehmen? Sogar eine Gruppe, die ein Jahr vorher explizit mich als Guide für ihre Tagestouren-Woche gebucht hatte musste mit einem andern Guide vorliebnehmen… Insgesamt sind es in der Saison zwölf Reisen rund um Island und eine Woche Tagestouren von Reykjavik aus. Ich mag die Unabhängigkeit als Driverguide, auch wenn es bei kaputten Reifen (zwei auf einmal und kein passendes Werkzeug im Bus!) und anderen Nettigkeiten natürlich Luxus ist, sich nicht kümmern zu müssen, wenn man „nur“ Guide ist. Jede Reise ist besonders, jedes Mal tolle Menschen und Begegnungen.

Eine besondere Tour bekomme ich im Juni: Elf Tage Privattour mit einem Ehepaar. Da gehen die Uhren anders, maßgeschneidertes Programm, intensives Zusammensein. Das hat mir viel Freude gemacht, braucht aber auch ein gutes Kräftemanagement und Balancieren zwischen Nähe und Distanz.

Ende Juni, zwischen Heimkommen am Freitagabend und nächster Tour ab Sonntag ist mein Bachelor-Abschluss an der Uni zusammen mit 2000 anderen, die alle namentlich verlesen werden und auf der Bühne erscheinen. Sowas dauert, ist aber sehr feierlich für mich. Leider stellt sich später heraus, dass ich für eine Anerkennung als Heilpädagogin tatsächlich noch ein ganzes Jahr dranhängen muss. Aber jetzt erstmal Pause. Im Juli feiern wir meinen Abschluss mitsamt unser beider Geburtstage.

Fast ein Jahr nach dem Vulkanausbruch am Fagradalsfjall gibt es fast an derselben Stelle einen neuen Vulkanausbruch. Auch diesmal gehen Erdbebenschwärme voraus, bevor im August ein knapp dreiwöchiger friedlicher Ausbruch stattfindet. Der Weg ist deutlich länger, unzugänglicher, beschwerlicher, aber es lohnt sich und wir geniessen es, die Wärme und und das pulsierende Fauchen in sicherer Entfernung von etwa 500 m zu erleben.

September

Wir sind beide ziemlich erschöpft von der vielen Arbeit. Björgvin fährt mit kleinen Touristengruppen auf Berge, oft mehrfach am Tag, besonders beliebt sind die Midnight-Sun-Touren (im Winter Nordlicht-Touren), ich bin auch ständig unterwegs. So gönnen wir uns zwei Wochen Auszeit. Wir machen zweimal eine Mehrtagestour mit allerschönsten Herbstfarben und Nordlichtern und geniessen die freie Zeit, aber auch die atemberaubenden Landschaften, die wir teils beide noch nicht gesehen haben. Wir haben unseren Landcruiser umgebaut, sodass wir auf einem Gestell bequem schlafen können und gleichzeitig Platz für Gepäck ist. Zweimal ist das Wetter so herausfordernd, dass wir kurzfristig ein Zimmer buchen, einmal übernachten wir bei Freunden. Die erste Tour führt auf Hochlandwegen nach Landmannalaugar, dann über das nördliche Fjallabak (übersetzt heisst das soviel wie „hinter den Bergen“), durch die zerklüftete Eldgjá, zur Gletscherlagune und auf dem Rückweg in die ausserirdisch wirkende Schlucht Þakgíl. Im Norden ist das grösste Highlight die Stuðlagíl = Basaltsäulen-Schlucht, durch die ein Fluss fliesst. Als vor einigen Jahren der Kárahnúkur-Staudamm im Hochland für ein Kraftwerk gebaut wurde, hatte das zur Folge, dass der Wasserstand des Flusses allmählich abnahm. Und auf einmal kamen wunderschöne Wände mit Basaltsäulen zum Vorschein. Lange standen diese Fahrten schon auf der Wunschliste, aber man braucht Zeit und ein geländegängiges Fahrzeug, um diese Naturschönheiten zu bestaunen.

Oktober

Die Sturmzeit beginnt mit mehrfachen heftigen Wetterwarnungen – gelbe, orange und rote, die schlimme Schäden für Häuser und Fahrzeuge mit sich bringen. Dreimal erwischt es mich auf Reisen mit orkanartigem Sturm und gesperrten Strassen mitsamt der Unsicherheiten ob und wann man weiterfahren kann. Inklusive der Frage, wie man nach langen Wartezeiten (in denen man die Gäste bei Laune und informiert halten muss) das Programm von 2 Tagen in ein paar Stunden doch noch erfüllen kann. Das sind sehr spezielle Abenteuer… Einer der Gründe, warum meine Saison im Oktober endet, weil ich mich darauf einfach nicht den ganzen Winter über einstellen mag.

November

Wir geniessen eine Woche Berlin und anschliessend das grosse Familienwochenende zum 80. Geburtstag meiner lieben Mutter. Leider sind wir schon gleich nach Ankunft in D beide ziemlich erkältet und am Familientreffen ist meine Stimme dann ganz weg… Wir nehmen dafür Covid mit nach Island – zumindest mein Partner. Ich bekomme es zwei Wochen später beim isländischen Treffen seiner Famile, kurz nachdem ich wieder begonnen habe im Kindergarten zu arbeiten. Nahtlos bekommen wir beide Lungenentzündungen und alles mögliche andere. Als ob Covid unser Immunsystem komplett ausgeschaltet hätte…

Dezember

Seit Sommer hatten wir versucht, die Wohnung meines Partners zu verkaufen, aber weil die Leitzinsen immer weiter nach oben kletterten, scheiterte es immer wieder – die Käufer mussten selbst ihre Wohnung verkaufen, und deren Käufer bekam dann keinen Kredit…Wir nehmen wegen besonderer Umstände kurzfristig eine Verwandte mit Familie als Mieter in die Wohnung, die sich kurz darauf entschliesst, die Wohnung zu kaufen. Statt alles zu bezahlen, bekommen wir ein Haus als Teil der Kaufsumme angeboten. Eine Stunde nördlich von Reykjavík, in Borgarnes, also zu weit zum Umziehen, zumindest im Moment. Es ist ein für isländische Verhältnisse sehr altes Haus, 115 Jahre alt und unter Denkmalschutz, darf also aussen nicht ohne Genehmigung verändert werden. Es ist klein, sehr vieles muss repariert und erneuert werden, hat aber viel Charme. Wir wollen es als Ferienhaus nutzen und auch Touristen vermieten – Anfragen sind willkommen. Die ersten Gäste kommen im April. Von Borgarnes aus kann man prima Tagesausflüge in alle Richtungen unternehmen, und für 2023 wird ein grosser Boom vorausgesagt; schon jetzt ist es schwierig für den Sommer Unterkünfte zu finden. Daher wird das sicher ein gutes Unterfangen. Im Moment richten wir uns ein, verwandeln die dunkelbraunen Räume in helle, kämpfen mit Wasser im Keller und einem frechen, unfreiwilligen Haustier. Aber wir haben uns in dieses Häuschen verliebt, nutzen jeden freien Tag um dort zu sein. Und wer weiss, was die Zukunft noch alles bringen wird… 😃

Das war 2022. Ein verspäteter Jahresrückblick.

Voll die Krönung

IMG_0300Es ist Freitagmittag. Was für ein Fest. Endlich darf ich mich auf den Weg zur Fähre machen, um nach Hause, nach Island, zu reisen, ausgestattet mit einem Brief vom isländischen Aussenministerium und dem neuen Ticket für die Fähre am 25. April. Alles ist gepackt und erledigt. Ich warte noch auf einen Brief, der schon wochenlang unterwegs ist. Die Post kommt ungewöhnlich spät – oder sie war ohne den Brief schon da, denn der Briefkasten war leer. Eben habe ich meine Schlüssel bei meiner Nachbarin abgegeben, da spähe ich noch ein letztes Mal durch den Briefkastenschlitz. Tatsächlich, nun ist doch ein Brief gekommen. Ich hole die Schlüssel zurück. Es ist der lange erwartete, verspätete Osterbrief, für den ich die Hoffnung schon aufgegeben hatte. Neben einer sehr schönen Bastelei eines Osterkükens (in der Eile und mit Blick auf die Rückseite dachte ich erst, es sei ein gebasteltes Coronamonster!) hat meine jüngste Nichte eine Vorlage dazugepackt: Eine Krone, die ich mir selber basteln kann, wenn ich Lust dazu habe. Ich muss lächeln. Eine Krone in Corona-Zeiten. Das ist passend. In Island angekommen, bastele ich mir die Krone in meiner zweiwöchigen Quarantäne. Setze sie mir mit Stolz für das Foto auf, denn es ist wie eine trotzige: „Du kannst mich mal!“-Krönung gegenüber dem alles bestimmenden Virus, der unser Leben so sehr bestimmt, seit nunmehr über einem Vierteljahr.

Unfassbar, wie sich das Leben so grundlegend ändern konnte, quasi über Nacht. „Pläne sind dazu da, geändert zu werden.“ hat mal ein schlauer Mensch gesagt. Schon klar. Aber so radikal, ohne Boden unter den Füssen?! Was für eine Ausnahmesituation. Ich hatte den Eindruck dass an vielen Stellen Corona ein Auslöser dafür war, das Leben auf den Prüfstand zu stellen: Was zählt wirklich? Was trägt? Wer bin ich eigentlich? Für mich war es ziemlich schockierend zu sehen, wie schlecht ich manchmal damit umgehen konnte, wenn zu der Grundunsicherheit noch weitere Unsicherheiten hinzukamen. Denn ich dachte, ich sei trainiert darin, mit Unsicherheiten zu leben… Ich bin manchmal in regelrechte Panikzustände gekommen und hatte dabei das Gefühl, die Fähigkeit verloren zu haben, mich selbst zu beruhigen.

Um ehrlich zu sein, waren es aber teilweise auch ganz schöne Brocken, die mich da aus dem Gleichgewicht brachten. Ärger und Druck von der Wohnungsgesellschaft wegen einer angeblich ordnungswidrig geführten Garage, gleichzeitig die Kündigung eines meiner Untermieter und die Suche unter Zeitdruck wegen der (möglicherweise) herannahenden Abreise nach einer neuen Mitbewohnerin zum Beispiel. Und immer wieder das erneute Verschieben der Fähre… Hätte mir jemand gesagt, dass ich 2020 gar nicht mehr Island darf, hätte ich mich wahrscheinlich schnell beruhigt und innerhalb dieses Rahmens nach Lösungen gesucht. Aber das war einfach unerträglich.

IMG_9942Zugleich fehlten mir wirkliche Begegnungen zunehmend. Wo anderen die Decke auf den Kopf fiel, weil es mit der Familie zu eng wurde, war es bei mir das Gegenteil. Meine Untermieter waren bei ihren Partnerinnen untergeschlüpft in der Kontaktsperre-Zeit, ich war also allein in der Wohnung, was auch ganz schön war. Ich habe natürlich jeden Tag mit lieben Menschen telefoniert und das hat unendlich gut getan. Später habe ich mich auch mit einzelnen Freundinnen verabredet zu einem Spaziergang – mit Abstand. Aber so ganz ohne Körperkontakt, ohne Umarmung…! Dazu das Gefühl, mich von niemandem wirklich verabschieden zu können, wenn die Fähre denn gehen würde… Die Begegnungen am Telefon waren schön, aber eine Umarmung, das einander auch körperlich Nahesein, das ist erst wirklich nährend. Wie wenn man nicht das richtige isst und dann Nährstoffe fehlen und man das Gefühl hat, gar nicht satt geworden zu sein. Jedenfalls fühlte ich mich wie ausgehungert. Ich glaube tatsächlich, dass man wirklich krank werden kann, wenn man so ganz ohne Körperkontakt ist. Und dass Streicheln, Händchenhalten, Umarmen und was man sich noch alles vorstellen mag wirklich auch die Abwehrkräfte steigern kann. Mit Sicherheit gibt es dazu wissenschaftliche Untersuchungen. Auch wenn ich von der Richtigkeit der Massnahmen überzeugt war und bin und glaube, dass wir nur so verhindern konnten, dass wir eine ähnlich schlimme Situation wie in Italien und anderswo erleben mussten, ist es eine wichtige Frage, was diese Coronakrise wohl auf lange Sicht mit uns machen wird…

IMG_0599Allmählich kam ich mir nach intensiven Gesprächen selbst mehr auf die Spur. Das eigentliche Problem war, dass ich mir tatsächlich selbst nicht mehr so recht traute. In den letzten Jahren war es das „dem Herzen folgen“, was mich antrieb und meinen Weg finden liess. Die Logik und viele Freunde rieten mir immer wieder: Bleib in Deutschland, hier hast du dein ALG 1 sicher. Sag die Wohnung ab in Island, um Kosten zu sparen – hier hast du dein Zimmerchen. Es wird doch sowieso nichts mit Reisen in diesem Jahr… Ich hatte selbst eine Liste mit Argumenten, warum es sicherer sei, in Deutschland zu bleiben. Und doch sagte das Herz trotzig: Ich will aber nach Island! Ohne dabei stichhaltige Argumente auf den Tisch zu legen. Ich war ziemlich durch den Wind, wie man so schön sagt. Weil ich das Gefühl hatte, meinem eigenen Herzen, der inneren Stimme, nicht mehr trauen zu können. Bis meine liebe Freundin Dobrinka mich an etwas erinnerte, das ich eigentlich längst wusste: „Das Herz weiss mehr als das Hirn. Es sieht Dinge, die für die Augen nicht sichtbar sind. Du darfst ihm trauen.“ Das war wie eine Befreiung für mich.

Und nun war ich also tatsächlich auf dem Weg nach Island. Keine Stopps an den innerdeutschen Grenzen; die Dänen fragten nur, wohin ich wolle und wollten keinerlei Papiere sehen: Welcome! An der Fähre wurde Fieber gemessen, dann durften die 48 Passagiere bis Färöer (24 bis Island) an Bord. Alle bekamen wir eine Aussenkabine mit Fenster! Was für ein Luxus. Die meiste Zeit blieb ich in der Kabine, hatte alles dabei. Es war eine der ruhigsten Überfahrten, die ich je erlebt habe. Auf den Färöern durften wir nicht von Bord; meine Freundin kam zum Winken in letzter Sekunde vor dem viel früheren Ablegen an den Kai. Und wir mussten erneut zum Fiebermessen antreten. Die Geräte wurden an langen Stangen aus der verglasten Empfangstheke heraus benutzt…

In Island ging die Ausfahrt diesmal ganz schnell. Der eine Zollbeamte erkannte mich sogar wieder – es war meine neunte Fahrt mit der Norröna. „Du musst auf direktem Wege nach Hause. Du darfst nirgendwo einkehren, auch nicht aufs WC gehen. Nur Tanken an den Selbstzahler-Säulen ist erlaubt“. Puh! Immerhin waren die Strassen auf der ersten Hälfte der Strecke absolut leer. Eine unfassbare Stille in der Landschaft, kein Mensch weit und breit an dem schönen Wasserfall Goðafoss.

In meinem neuen Zuhause wurde ich am späten Abend herzlich willkommnet. Inzwischen fühle ich mich sehr wohl hier. Ich bin nicht mehr Untermieterin, sondern Mitbewohnerin, habe zwei kleine Zimmerchen, Küche und Wohnzimmer, Bad und Kammer haben wir gemeinsam. Der reinste Luxus! Die Quarantäne war recht einfach zu gestalten. Man durfte nicht einkaufen, nicht in öffentliche Gebäude, niemanden besuchen und nicht besucht werden. Aber mit dem 2-Meter-Abstand waren Spaziergänge, Wanderungen, Ausflüge im eigenen Auto erlaubt. Herrliche Freiheit im Vergleich zu vorher. Trotzdem habe ich es gefeiert, als ich endlich wieder alles durfte…


Ausflug während der Quarantäne zum Hochtemperaturgebiet Seltun/Krísuvík:


Inzwischen ist die Situation in Island an vielen Stellen sehr entspannt. Wir haben nur sehr wenige aktive Infektionsfälle. Die Abstandsregelung ist nur noch freiwillig, fast alles ist wieder geöffnet. Wie sehr ich es geniesse, liebe Menschen zu treffen und zu umarmen!!! Einiges ist noch immer eingeschränkt. Zum Beispiel gibt es kein Abendmahl in den Kirchen. Ab 15. Juni dürfen wieder 500 statt nur 200 Menschen zusammenkommen. Es wird dennoch keine Feierlichkeiten am 17. Juni geben, dem Nationalfeiertag; da ist die Stadt normalerweise verstopft mit Menschen…

Ab 15. Juni darf man auch wählen, ob man bei der Einreise in Quarantäne gehen oder einen selbst zu bezahlenden Test am Flughafen machen möchte. Wer genaueres wissen möchte, kann das gern hier auf deutsch nachlesen: https://www.covid.is/de/reisen-nach-island


Ausflug während der Quarantäne zum Skógarfoss im Süden:


Mit dem 15. Juni sind sowohl viele Hoffnungen als auch viele Ängste verbunden. Immer noch ist die Arbeitslosigkeit exorbitant hoch, denn die gesamte Reisebranche ist am Boden. Nun hofft man, dass die Touristen wieder ins Land kommen. Aber die Unsicherheiten sind einfach bisher so gross gewesen, dass dennoch viele abgesagt haben. Ob die Reisebranche wirklich schon bald in Gang kommen wird, ist mehr als fraglich. Ich habe mir deshalb eine Alternative gesucht und arbeite nun seit dem 1. Juni in einem Kindergarten. Mein eigener Kalender, der eigentlich randvoll mit Touren um Island war, ist bis auf eine einzige Reise Ende Juli geleert. Falls diese Reise zustandekommen wird, bekomme ich im Kindergarten eine Freistellung. Das wäre wirklich ein Fest, wenn ich diese Tour übernehmen könnte. Mal sehen.


Ausflug nach Akranes und ins Skorradalur:


Aber zugleich haben auch eine Menge Menschen Sorge und glauben, dass die Öffnung viel zu früh ist. Was, wenn die Reisenden den Virus wieder einschleppen und eine zweite Welle auslösen? Sollte nicht unsere Gesundheit wichtiger sein? Letzte Woche sind u.a. mehrere rumänische Männer via London nach Island eingereist, die statt in Quarantäne auf Einbruchstour gegangen sind. Gestern wurden drei erwischt, heute auch die übrigen. Zwei wurden bereits positiv auf Covid 19 getestet. Was zur Folge hatte, dass nun sechzehn (!) Polizisten in Quarantäne mussten! Natürlich müssen auch die Leute aus dem Flugzeug in Qarantäne, die in der Nähe besagter Männer sassen…


Ausflug in die Búrfellsgjá, die Schlucht, durch die der Vulkan Búfell vor ca. 8000 Jahren den Lavafluss schickte:


Alles nicht so einfach. Ein lieber Freund aus Portugal schrieb gestern: „Es ist immer noch besorgniserregend und zugleich ermüdend. Aber wir sollten irgendwann unter diesen Bedingungen zu leben lernen und unser Leben besser gestalten.“ Ich hoffe, dass uns das gelingen kann. Lebendig zu bleiben unter Corona-Bedingungen. Das wäre voll die Krönung, das zu schaffen.


Ausflug ins Græanadalur, ins Grüne Tal:

 

Voll die Krönung

Zwischen den Welten

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[Kurz vor Grenzschliessung noch ein traumhaftes Wochenende in Lissabon]
Das Frühjahr und der Herbst sind für mich in den letzten Jahren immer wieder die Zeiten gewesen, in denen ich zwischen meinen beiden Welten hin und her gewechselt bin. Immer wieder kostete mich das viel Energie, das eine Zuhause zu verlassen und im andern Zuhause anzukommen. Im letzten Jahr hat sich immer stärker der Wunsch entwickelt, irgendwo anzukommen, weil es mir wie Energieverschwendung vorkommt, jeweils mit Haut und Haaren in beiden Welten anzukommen, um dort zu leben. Zaghafte Ideen sind gewachsen. Noch nicht entscheidungsreif. Dass sich etwas ändern muss, schien mir klar. Mit zarter Vorfreude wartete ich auf das Kommende. Immer der Sehnsucht hinterher,  dem Herzen folgend.

Nun ist alles anders. Nicht nur bei mir. Nichts ist mehr wie es war, für uns alle. Jedes Kind hat schon mal vom Corona-Virus gehört, das die Welt seit Wochen auf den Kopf stellt. Keiner weiss auch nur ansatzweise, wie es weitergeht und wo wir stehen werden, wenn diese Krise überstanden ist. Ich bin nicht die Einzige, für die es existenziell ist und noch mehr werden wird. Wahrscheinlich bin ich sogar privilegiert, weil ich genügend Gelegenheiten hatte zu lernen, mit wenig auszukommen, am Limit zu leben, immer wieder geübt habe, mit Panikgefühlen umzugehen, Ängste und Fragen auszuhalten, auch wenn keine Antwort in Sicht ist. Weil ich auch gelernt habe, das Alleinsein auszuhalten, fernab von meinen Lieben, und mich auf Online-Kontakte zu konzentrieren. Eine Art von „flatten the curve“ – auch für das Ausmaß an Panik nannte es meine Schwester. Recht hat sie. Aber selbst für mich ist es dieser Tage nicht einfach.

IMG_9443Und so bin ich also diesmal ganz anders zwischen den Welten, fühle mich wie in einem Transit-Raum. In Deutschland habe ich meinen Winter-Job bei der Zeitarbeitsfirma schon Ende Februar beendet, weil ich Zeit zum Packen, Sortieren, Verabschieden brauchte. Ein Zurück gibt es wegen der geschlossenen Kindergärten nicht mehr. Gestern wäre meine Fähre in Island angekommen und heute wäre ich in mein neues Zuhause in Reykjavík eingezogen… In Island werden mehr und mehr Jobs abgesagt, in der Reisebranche mehr als verständlich. Aber auch sonst sieht es wirtschaftlich immer schwieriger aus. Beide Länder fahren ihre Sicherheitsmassnahmen regelmässig höher. Grenzen wurden dicht gemacht. In Island wartet auf alle Kommenden sowieso eine vierzehntägige Quarantäne. Die Fähre ist inzwischen zum zweiten Mal umgebucht. Es war seltsam zu lesen: „Sie werden am 18.04. abfahren und am 21.04. ankommen.“ Eine Prophetie? Schön wär´s. Mit jeder Umbuchung wird es leider auch teurer.

Inzwischen bekomme ich vom Auswärtigen Amt Deutschlands die dringende Warnung, nach Hause nach Deutschland zu kommen, da die Flugzeuge bald nicht mehr flögen. Und vom isländischen Außenministerium bekomme ich die gleichen Warnungen: Komm so schnell wie möglich heim nach Island, solange es noch geht… Zwischen den Welten sein ist nicht gerade beruhigend. In welcher der beiden Welten sollte ich sein? Wo lebt es sich leichter in einer Krise wie dieser? Wo wäre es einfacher, trotz allem einen Job zu bekommen? Wenn ich demnächst entscheiden muss, was wird die richtige Entscheidung sein? Ich habe die leise Ahnung, dass es gar kein Richtig und Falsch geben wird und ich mich bei jeder der beiden Entscheidungen irgendwann auch in Tränen aufgelöst wiederfinden werde… Ich bleibe trotzig, wankelmütig-zuversichtlich.

Was hilft mir in alledem?

IMG_9416Atmen. Ein und aus, im Hier und Jetzt. Ich frage mich dabei, ob meine Angst mir in irgendeiner Art weiterhilft. Meistens nicht. Meistens gibt es gar nichts, das ich tun kann, weil mir die Hände im Moment gebunden sind. Vielleicht ist die Angst auch eine freundliche Einladung, nach Alternativen zu suchen. Aber weil sich die Parameter ja oft buchstäblich über  Nacht ändern, bleiben die Spielräume oft nur auf den heutigen Tag beschränkt. Aber immerhin, es gibt sie, die Spielräume zum Gestalten. Wenn ich handlungsfähig bleibe, auch auf kleinstem Raum, bin ich kein Opfer der Umstände.

Für vieles was in weiterer Ferne liegt, oder auch für alles mögliche mache ich Listen:

  • Wie kann ich eine Fahrt von Berlin nach Hirtshals und von Seyðisfjörður nach Reykjavík gestalten, ohne irgendwo zu übernachten oder Essen kaufen zu dürfen?
  • Was kann ich alles in der Quarantäne in Island tun? Von Puzzeln über Sudoku und Basteleien braucht es da ja auch Material, wenn ich nicht nur mit Laptop und Handy unterwegs sein will…
  • Was kann ich nur aus dem, was ich noch zu Hause habe, alles kochen? Unfassbar, dass ich aus dem Stand ohne Neu-Einkäufe auf eine lange Liste komme! Da kann ich viel Geld sparen 🙂

IMG_9444Dankbarkeit ist auch wichtig. Mir bewusst machen, was ich alles habe, wie reich ich bin, auch wenn ich mich so eingeschränkt fühle. Jeden Tag aufschreiben, was ich erledigt habe, was ich schönes erlebt habe, wo ich meine Ängste besiegt habe, welche schönen Kontakte ich über Telefon, Handy und Internet hatte. Mir auch bewusst machen, was ich schon alles bewältigt habe in meinem Leben. Schon so oft dachte ich, es geht nicht mehr weiter. Und es gab immer neue Fenster und Türen, die sich aufgetan haben. Und nicht zuletzt mache ich mir auch das bewusst, was für Chancen und positive Aspekte, bei all dem was mir auch fehlt, in dem ganzen liegen. Spannend, das herauszufinden!

Zwischen den Welten. In der einen nicht mehr ganz, in der andern noch nicht. Ich bin gespannt, welche Türen sich öffnen werden, in welche Richtungen und wann. Bis dahin bleiben wir daheim und hoffentlich gesund! ❤

Zwischen den Welten

Home again. Wieder zu Hause.

IMG_4836„Warst du wirklich so lange weg? Die Zeit ist wie im Fluge vergangen. – Velkomin heim!“ Das Willkommen ist großartig. Das tut gut.

Ich bin wieder mal zu Hause in Island angekommen. Auch wenn ich gerade von zu Hause in Berlin komme…

Drei Monate hatte ich mir Zeit für eine Heimatpause genommen. Es tat gut, Familie und alte Freunde wiederzusehen, Zeit zusammen zu verbringen. Es ist mein Privileg, in zwei Welten zu Hause zu sein. Hier wie da ein gutes Netz zu haben. Es war herrlich, nicht nur eine Stippvisite zu machen, sondern wirklich „da“ zu sein. 

IMG_4478Eigentlich wollte ich auch ein bisschen arbeiten. Über die Zeitarbeitsfirma ist das kein Problem. Aber schon am Abend des ersten Arbeitstages gab es einen schmerzhaften Sturz in der Sauna, der mir den Arm brach, knapp unterhalb der Schulter… Glück im Unglück: Dank meines Jobs war ich wieder in der deutschen Krankenversicherung.

Erst vier Wochen später durfte ich wieder im Kindergarten arbeiten – diesmal mit den ganz Kleinen. Die Arbeit hat Spaß gemacht, die Kollegen waren sehr nett. Nebenbei immer wieder Arztbesuche und Physiotherapie.

Auch jetzt ist noch lange nicht alles gut. Es braucht viel Geduld, um wieder fit zu werden. Das Packen, die langen Autofahrten, das Schlafen auf der harten Pritsche in der Neuner-Couchette im Bauch der Fähre (immerhin bei spiegelglatter See diesmal!), all das hat nicht unbedingt zur Besserung beigetragen und neue Schmerzen gebracht. Aber dank meiner Vermieterin habe ich sofort eine großartige deutsche Physiotherapeutin gefunden (ihre Schwägerin!). Obwohl man oft bis zu acht Wochen auf einen Termin warten muss, hatte ich schon am Tag nach meiner Ankunft eine Behandlung, noch dazu richtig gut. Das macht Mut, auch wenn es teuer ist. Ich will fit werden mit dem Arm!

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Ich bin wirklich froh, dass ich wieder gut angekommen bin und es mit dem „Zuhausesein in beiden Welten“ nicht nur ein Spruch ist. Denn das Abschiednehmen daheim ist jedes mal ein Horror, gefühlt wird es jedes Mal schlimmer. Die letzten zwei Wochen leide ich jedesmal so sehr, dass ich das Gefühl habe, das nicht mehr lange mitmachen zu können… Herz-Schmerz, körperlich zu spüren…

Vielleicht schreibe ich mir das nächstes Mal in den Kalender? „Achtung – Ausnahmezustand! Die nächsten zwei Wochen werden dich viel Kraft kosten! Leg schon mal die Taschentücher bereit! Außerdem werden sie proppevoll, denn alle wollen dich nochmal sehen. Und all das Liegengebliebene muss auch noch endlich auf den Weg gebracht werden!“ Ja, das könnte hilfreich sein 🙂

IMG_4888Nun habe ich ein bisschen Zeit, auch innerlich ganz anzukommen. Die Arbeit beginnt erst in knapp drei Wochen. Dann wird es sehr spannend, denn ein neuer Job wartet auf mich. Die wirtschaftliche Lage insgesamt ist in Island im Moment nicht sehr rosig, so bin ich froh, dass ich einen festen Sommerjob bekommen habe als Driverguide. Bis dahin muss ich mich noch ein bisschen vorbereiten. Die Englischvokabelbox liegt schon bereit…

 

Home again. Wieder zu Hause.